Christina Stürmer im Interview
“Ich kann auch zur Diva werden.“
Seit Monaten ist Christina Stürmer mit ihrer Band unterwegs, doch nächste Woche endet die “Ich hör auf mein Herz“-Tour. Dass die Musikerin ein Mensch mit Herz ist, zeigt sie allabendlich auf der Bühne, aber auch während des Interviews, das ich mit ihr, vor ihrem Konzert in Hannover, geführt habe.
M.GRASS: Der Blick auf ihren Tourneeplan ist ziemlich beeindruckend. Fast jeden Abend stehen Sie auf der Bühne. Wissen Sie eigentlich morgens beim Aufwachen immer, in welcher Stadt sie gerade sind?
CH.STÜRMER: Das schon, aber wenn man mich fragt, wo wir Vorgestern waren, dann habe ich ein Problem. Wo wir jetzt gerade sind – das ist immer total präsent. Dass ich beispielsweise das Publikum in Erfurt mit “Hallo Karlsruhe“ begrüße, ist mir noch nie passiert. Wenn sie mich aber fragen, wo wir gestern oder vorgestern waren, dann stehe ich auf dem Schlauch.
M. GRASS: Generell erscheint mir der Zeitplan schon recht eng. Haben sie überhaupt mal die Gelegenheit, etwas von der Stadt zu sehen, in der Sie gerade sind. Haben sie beispielsweise irgendetwas von Hannover gesehen?
CH. STÜRMER: Nein. Wir waren ja schon ein paarmal im Capitol in Hannover und mir ist gerade heute aufgefallen, dass ich es noch nie hier raus geschafft habe. Ich habe keine Ahnung, was da draußen, um die nächste Straßenecke, ist. Mein Schlagzeuger musste sich heute irgendetwas besorgen – Zahnpaste oder so – und der wusste, dass gleich um die Ecke eine Apotheke ist. Wir waren so oft hier, aber ich hätte keine Ahnung gehabt.
Das ist schon eine verrückte Sache. Eigentlich habe ich viel Zeit, aber trotzdem ist für mich der Tag immer zu kurz. Das war auch heute wieder so. Wir hatten ja am Vorabend ein Konzert und sind so gegen 2 Uhr von dort losgefahren. Da schläft man dann so etwa bis 10 Uhr. Dann hab ich noch einen Moment gelesen, bis wir um 11 Uhr hier in die Halle konnten. Dann wurde gefrühstückt. Anschließend habe ich mich um Fotos vom Konzert gekümmert – das mache ich wirklich selber -, dann lange mit meinem Management telefoniert und schon heißt es: “Jetzt ist Soundcheck“. Da komme ich dann echt ein bisschen in Stress.
M.GRASS: Die Tournee geht jetzt aber so langsam dem Ende entgegen …
CH.STÜRMER fällt mir ins Wort: Ja – leider!
M.GRASS: Sie sagen “leider“…sind sie denn nicht auch ein bisschen froh, die Anstrengungen erfolgreich hinter sich gebracht zu haben?
CH.STÜRMER: Wissen sie, vor einer Tour habe ich schon immer ein bisschen gemischte Gefühle. Da denke ich mir: Das sind echt viele Konzerte und an was ich alles denken muss… was ich da alles einpacken muss…
Aber ab dem Moment, wo ich in Wien in den Tourbus einsteige, ist das ein bisschen eine andere Welt. Man muss sich auf einmal um vieles nicht mehr selbst kümmern. Ob der Kühlschrank voll ist und der Geschirrspüler ausgeräumt… all das macht schon irgendjemand. Naja, und jetzt ist man da so drin und es macht einfach extrem viel Spaß jeden Abend auf einer Bühne zu stehen. Die Zeit vergeht irre schnell. Im Moment denke ich: Wie – es ist schon bald wieder Schluss? Wir sind doch gerade erst losgefahren. Wenn etwas schön ist, vergeht die Zeit schnell. Das ist also ein gutes Zeichen. Ich hätte nichts dagegen, wenn es jetzt noch ein bisschen weitergehen würde.
M.GRASS: Gibt es denn schon Pläne, wie es nach der Tour weitergeht?
CH.STÜRMER: Naja, wenn man zu Hause ankommt, dann muss man ja erst mal ein bisschen runterkommen. Dann kommt zunächst der ganze “Nach-Tour-Wahnsinn“: Koffer ausräumen, Wäsche waschen, sich wieder zu Hause einfinden. Aber danach geht es für mich ein paar Tage in die Berge. Es ist ja dann Februar und ich als Österreicherin, muss dann einfach in die Berge… ein bisschen Snowboarden. Danach legen wir auch schon wieder los mit Songschreiben. Da haben wir jetzt schon ein paar Termine ausgemacht. Es ist zwar nicht so, dass wir schon mitten im neuen Album sind, aber wir werden im Februar schon mal langsam anfangen, die ersten Songs zu schreiben.
M.GRASS: Sie bezeichnen sich selbst, als “Genießerin“. Kommt das nicht, während solch einer Tour, zu kurz?
CH.STÜRMER überlegt einen Moment: Nein. Genießen kann man ja vieles.
M.GRASS: Was bedeutet denn genießen für sie?
CH.STÜRMER: Das sind oft Kleinigkeiten. Sich einfach mal hinsetzten, die Augen schließen und die Sonnenstrahlen genießen. Vor Kurzem war ich zusammen mit meiner Schwester ein Wochenende Snowboarden. Meine Schwester hatte zwei Stunden Snowboardunterricht am Tag und ich bin dann alleine rumgefahren und das war unfassbar schön. Ich hab mich dann auch alleine nach draußen, vor die Hütte, gesetzt. Und sich da, mitten in den Bergen, mal zurücklehnen… zwar bei eisiger Kälte, aber bei Sonnenschein… das ist Genuss.
M.GRASS: Und wenn sie auf Tour sind?
CH.STÜRMER: Für mich ist Essen dann sehr wichtig. Auch wenn ich nicht so aussehe – ich esse gerne und ich esse gerne gut.
M.GRASS: Welche Art von Küche mögen sie?
CH.STÜRMER: Mit italienisch kann man nichts falsch machen. Also Pasta kann ich, in jeder Form, bis zum Abwinken essen. So mit den ganz deftigen Sachen habe ich es nicht so… auf Tour schon mal gar nicht.
Wichtig ist für mich, sich die Zeit zum Essen zu nehmen. Ich finde die Essenszeiten müssen unbedingt eingehalten werden und das genieße ich dann auch sehr. Wenn das alles schnell gehen muss, weil wir im Terminstress sind, dann merken alle um mich herum, dass ich so ein bisschen unrund werde. Mein Management weiß das aber mittlerweile. Die suchen im Vorfeld schon Restaurants raus, da wird vorher auf der Speisekarte etwas ausgesucht und bestellt. Das Essen wird dann mit einer Stunde fest eingeplant. Viele finden eine Stunde nur um zu essen lang, aber ich will das einfach so haben.
M.GRASS: Wie darf ich mir denn das vorstellen, wenn sie “unrund“ werden? CH.STÜRMER grinst: Ich werde dann zickig, glaub ich.
M.GRASS: Sie wirken immer so freundlich und ausgeglichen…
CH.STÜRMER lacht: Ich schau auch immer, dass das so bleibt, deshalb melde ich mich immer im Vorhinein schon … also das merkt dann wirklich jeder. Nicht nur die Band, die mich ja jetzt schon ein paar Jährchen kennt, auch die ganze Crew. Das ist so ein bisschen, wie in dieser Snickerswerbung. Ich werde zur Diva… grantig und zickig. Ich bin dann schnell von allen möglichen Dingen genervt und dann ist meistens Essenspause angesagt!
M.GRASS: Ich würde gerne noch auf die Setlist der Tour zu sprechen kommen. Es fällt auf, dass sie fast alle Songs aus dem aktuellen Album spielen und nicht – wie oftmals üblich – ein paar wenige neue Songs am Anfang des Konzertes einbauen und dann ein “gewohntes Programm“ abspulen.
CH.STÜRMER: Ja – das Schöne ist, da es uns mittlerweile seit 10 Jahren gibt, haben wir einen riesig großen Songpool, aus dem wir schöpfen können. Wir spielen einfach das, was uns gerade am Herzen liegt oder von dem wir glauben, dass das Publikum es mögen wird. So ergibt sich einfach ein buntes Potpourri.
Unser Hauptproblem ist im Moment, dass wir auch mal Songs streichen müssen. Ich variiere die Setlist jeden Abend ein bisschen. Zum einem für die Fans, denn wir haben ein paar, die uns immer nachreisen und für die soll es ja nicht jeden Abend gleich sein, aber auch für uns, denn es ist ja langweilig, wenn du jeden Abend die gleiche Abfolge hast. Bevor man da in so einen Trott verfällt, versuche ich, die Songabfolge immer mal zu drehen, aber wenn ich einmal irgendetwas streichen will, kommt garantiert einer von der Band und sagt: “Aber doch nicht gerade diesen Song. Der klingt so super und der kommt doch immer so gut an.“
M.GRASS: Und wie ist die Setlist generell entstanden?
CH.STÜRMER: “Ich hör auf mein Herz“ und “Millionen Lichter“ sind als Singles klar gesetzt. Songs wie “Engel fliegen einsam“ und “Ich lebe“ bleiben natürlich fester Bestandteil und dann gibt es einfach viele Songs, die perfekt passen. “Unendlich“ funktioniert als Opener immer gut, weil das so ein kraftvoller Song ist. “Wieviel wiegt ein Herzschlag“ haben wir am Anfang der Tour gar nicht gespielt. Irgendwann haben wir mal damit begonnen, die Nummer einzubauen, denn bei dieser Tour geht von jedem verkauften Ticket ein Euro an “Brustkrebs Deutschland eV“ und gerade der Song ist ja auf diesem Thema aufgebaut, daher muss er für mich jetzt auch einfach dabei sein.
M.GRASS: Sie engagieren sich immer wieder für karitative Zwecke. Vor allem das Thema Krebs scheint ihnen wichtig zu sein. Vor ein paar Jahren hatten sie einen TV-Auftritt, bei dem sie Isabell, ein krebskrankes Kind, überrascht haben. Können sie sich daran erinnern?
CH.STÜRMER: Ja – das war bei Carmen Nebel. Das war eine Sendung mit dem Thema “Krebs“, zu der Isabell eingeladen war und man hat mich gefragt, ob ich da mitmachen möchte, weil die Kleine so ein großer Fan ist. Ihr Lieblingslied war “Engel fliegen einsam“. Das habe ich dann auch gesungen.
M.GRASS: Wissen sie, wie das Schicksal des Kindes weiter verlaufen ist?
CH.STÜRMER: Ja – der Isabell geht es schon besser. Ich habe sie nicht direkt kontaktiert, aber als ich letztes Jahr wieder bei der Carmen Nebel war, habe ich sie gefragt, ob sie etwas weiß. Und sie hat mir dann erzählt, dass die Kleine ihr manchmal Nachrichten schickt. Damals ist sie auf Krücken gelaufen und jetzt kann sie schon alleine, ohne Hilfsmittel, gehen… mittlerweile sogar Treppen. Also ihr geht es inzwischen wesentlich besser.
M.GRASS: Während der Sendung stand ihnen das Kind dann gegenüber, schaute sie mit strahlenden Augen an und sagte: “Das ist der schönste Moment in meinem Leben“. Da bekomme ich schon beim Zuschauen eine Gänsehaut. Einerseits muss es toll sein, wenn man einem Menschen solch eine Freude bereiten kann, aber andererseits, kann das ja auch eine Bürde sein. Sie sind Musikerin, das ist ein selbst gewähltes Schicksal, aber als sie sich vor 10 Jahren für diesen Weg entschieden haben, konnten sie nicht damit rechnen, dass sie mit solchen Dingen konfrontiert werden…
CH.STÜRMER: Ja, das ist schon schräg. Ich kriege da selbst natürlich auch immer Gänsehaut. Ich habe mich nach der Sendung noch mit Isabell in der Cafeteria unterhalten. Vor laufender Kamera ist das ja immer so eine Sache. Da muss man aufpassen, dass man im Licht steht, da sitzen die ganzen Zuschauer und die Kameraleute laufen um einen herum. Solche Dinge dann zu hören, ist schon krass und für mich auch immer schwer greifbar, wenn so ein Kind sagt, dass das der schönste Moment in seinem Leben ist. (CH.STÜRMER ringt erkennbar um die passenden Worte. Ihre emotionale Anteilnahme ist deutlich spürbar.) Das ist immer schwer, denn ich fühle mich ja jetzt nicht als irgendwas Größeres oder Besseres.
Für mich ist das Schönste, wenn auf die Songtexte reagiert wird. Ich lese Nachrichten bei Facebook wirklich immer selber. Ich kann zwar nicht alle beantworten, aber ich lesen jede. Mir hat da gerade kürzlich eine Dame geschrieben. Sie ist alkoholsüchtig und hat eine Therapie begonnen. In dieser Phase hat sie im Radio “Millionen Lichter“ gehört und das habe sie enorm aufgebaut. Das war mir ja bei der Entstehung des Songs nicht klar. Da denkt man ja nicht daran, dass man damit vielleicht einem Menschen hilft. Aber wenn das dann passiert, das ist so ein schönes Gefühl! Wir haben ein paar Songs, auf die wir solches Feedback bekommen haben, und das ist irre schön!