Der Kampf der Sioux gegen die Dakota Access Pipeline
Solidaritätsbekundung in New York
(Quelle: Mario Graß)
Im US-Bundesstaat North Dakota bahnt sich eine Tragödie für die dort lebenden Nachfahren der amerikanischen Ureinwohner an. Im Rahmen eines Protestmarsches durch New York City solidarisierten sich zahlreiche AktivistInnen mit den dort lebenden Sioux-Indianern.
Es erscheint wie der Kampf David gegen Goliath – ein scheinbar macht- und einflussloser Indianerstamm stemmt sich dem rücksichtslosen Willen einer milliardenschweren Ölgesellschaft entgegen. In New York City versammelten sich vergangene Woche Demonstranten, um im Rahmen eines “Gebetsmarsches“ ihre Solidarität mit dem in Dakota beheimateten Stamm der Standing Rock Sioux zu bekunden und auf deren verzweifelten Kampf gegen ein Pipelineprojekt aufmerksam zu machen.
Die Dakota Access Pipeline, eine sich im Bau befindliche Erdölleitung, die mit einer Länge von fast 1900 km durch die US-Bundesstaaten North Dakota, South Dakota und Iowa führen wird, ist ein etwa 4 Milliarden Dollar teures Projekt des Konzerns Energy Transfer Partners, das von zahlreichen Banken wie JP Morgan Chase, Goldman Sachs, ING, CitiBank, Morgan Stanley und der Bank of America finanziert wird. Auf ihrem Weg wird die Pipeline zahlreiche Wasserläufe, wie den Missouri und dessen weitverzweigtes Netz von Zuflüssen, unterqueren.
Im US-Bundesstaates North Dakota waren einst die Dakota-Indianer vom Großstamm der Sioux beheimatet. Deren Nachfahren leben bis heute überwiegend in Reservaten, die durch Verträge mit den USA entstanden sind, an diesem Ort. Der von dem Pipelineprojekt betroffene Missouri verläuft nur wenige hundert Meter nördlich des Standing Rock-Reservates und sichert die Wasserversorgung der dort lebenden Menschen, womit ein Leck in der Pipeline verheerende Folgen heraufbeschwören würde.
Laut der zuständigen Aufsichtsbehörde kommt es in den USA im Durchschnitt jährlich zu 300 Pipelineunfällen. Daher sei die Frage nicht, “ob diese Ölleitung undicht wird und den Missouri mit Öl verschmutzen wird“, so der Häuptling des Standing Rock Sioux Stammes Dave Archambault II.. “Die Frage ist nur, wann das passieren wird.“ Darüber hinaus wehren sich die Sioux gegen den Bau, da die Pipeline heilige Grabstätten ihrer Vorfahren sowie Gebetsorte zerstören würde.
“Diese Pipeline führt durch das Land unserer Urahnen“, stellt Dean DePountis, Anwalt des Standing Rock Stammes, heraus. “Das wäre genauso, als ob man eine Ölleitung durch den Soldatenfriedhof Arlington bei Washington oder unter der St. Patrick Kathedrale in New York verlegen würde.
In New York City versammelten sich in der vergangenen Woche zahlreiche AktivistInnen, um im Rahmen einer Demonstration, ihre Solidarität mit dem Kampf der Standing Rock Sioux zu bekunden. Der Demonstrationszug führte die Teilnehmer über eine Strecke von etwa 25 km von der Südspitze Manhattans über den gesamten Verlauf des Broadways zum Inwood Hill Park.
“Wir sind bewusst diesen alten Weg durch Manhattan gegangen – alle zusammen als Einheit“, erinnert Luis Sanakori Ramos, Vizepräsident des Eagle & Condor Community Centers, einer Organisation, die sich um den Dialog zwischen den in den gesamten USA lebenden Nachfahren der Ureinwohner bemüht, an die Geschichte des Broadways, der heute vor allem mit moderner Unterhaltungskultur in Verbindung gebracht wird.
Doch bereits lange bevor die ersten Europäer einen Fuß auf Manhattan setzten, hatten dort lebende Indianer Pfade in die waldreiche Wildnis geschlagen. Der wichtigste von ihnen durchquerte die Insel von Norden nach Süden und wurde täglich von den Indianern genutzt. Die holländischen Kolonialisten bauten diesen nützlichen Weg aus und nannten ihn “Breede Weg“ (breiter Weg), woraus sich später in der englischen Übersetzung der Name Broadway ergab.
Auch das Ziel des Protestmarsches, der Inwood Hill Park im äußersten Norden Manhattans, war von den Organisatoren bewusst gewählt worden. Bis in das 17. Jahrhundert bewohnte ein Indianerstamm diese Region und nutze die nahegelegenen Flüsse Hudson und Harlem River als Nahrungsquellen. Zeugnisse dieser Zeit sind bis zum heutigen Tage in der Grünanlage, dessen Zentrum der einzige erhaltene natürliche Wald Manhattans darstellt, zu finden. Abseits der ausgebauten Parkwege trifft man in dem dichten Gehölz auf gletscherartige Steinformationen und aufgetürmte Felsbrocken, die zahlreiche Unterschlupfmöglichkeiten boten.
An diesem Ort soll 1626 der folgenreiche Handel zwischen Peter Minuit, Gouverneur der seit wenigen Jahren bestehenden Kolonie Nieuw-Nederland, und der einheimischen Bevölkerung stattgefunden haben, bei dem den Indianern das heutige Manhattan für einen Gegenwert von 60 Gulden abgekauft wurde. Als der Demonstrationszug diesen geschichtsträchtigen Ort am späten Abend erreichte, fand der Tag mit Ansprachen, Gesängen und Zeremonien einen eindrucksvollen und bewegenden Abschluss.
“Die Menschen der Standing Rock Sioux in Dakota sind nicht meine Blutsverwandten, aber es sind dennoch meine Verwandten“, äußerte sich Luis Sanakori Ramos im Anschluss an den Protestmarsch. Er und dies gilt wohl für alle Teilnehmer der Demonstration fühle sich tief verbunden mit den Menschen, die seit einigen Monaten ein Camp in North Dakota errichtet haben, um den dortigen Kampf der Standing Rock Sioux Nation zu unterstützen.
In den vergangenen Wochen kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Campbewohnern und privaten Sicherheitsfirmen, die, während bereits gewaltige Planierraupen Schneisen in die Äcker rissen, ihre Hunde auf die Demonstranten losließen oder diese mit Pfefferspray attackierten.
Als zunehmend eine breite Öffentlichkeit von diesen Zwischenfällen erfuhr, folgten landesweite Protestkundgebungen und Solidaritätsbekundungen, denen sich auch Hollywoodgrößen wie Leonardo DiCaprio und Susan Sarandon anschlossen. Die noch amtierende Regierung unter Präsident Obama veranlasste daraufhin überraschend einen vorübergehenden Baustopp und kündigte sowohl Überprüfungen bezüglich der Umweltverträglichkeit des Projektes als auch Gespräche mit indianischen Gruppen an.
Doch mit der Wahl des zukünftigen Präsidenten scheinen sich die Aussichten der Standing Rock Sioux auf einen Erfolg deutlich verringert zu haben, denn die Initiatoren des Pipelinebaus verteidigen das Projekt: “Die Pipeline macht die USA unabhängiger vom Import von Öl aus instabilen Regionen dieser Welt“ und werde zudem tausende von Arbeitsplätzen schaffen und 40 Millionen US-Dollar an Steuern für North Dakota bringen. Argumente, die, angesichts der von Donald Trump im Wahlkampf angegebenen politischen Grundsätze, ganz auf der Linie des zukünftigen Präsidenten liegen dürften.
“Was hier passiert, ist herzzerreißend!“, beklagt Luis Sanakori Ramos mit Blick auf die Situation der Sioux in Dakota. “Es ist doch ihr Land. Niemand darf einfach in ihr Land eindringen.“ Erneut scheint sich Geschichte zu wiederholen, denn einst wurden die Indianer durch falsche Versprechungen, hinterlistige Verträge und schließlich mit Gewalt aus ihrem Land vertrieben.
Auch eine lediglich ein halbes Jahrhundert zurückliegende Erinnerung wird bei den Betroffenen in diesen Tagen wieder wach. Als der Oahe-Stausee angelegt wurde, wurden die dort heimischen Nachkommen der Ureinwohner aus ihren Hütten vertrieben und mussten mit ansehen, wie ihr fruchtbares Land, Wälder und ganze Siedlungen überschwemmt wurden. Die betroffenen Stämme haben sich von dieser brutalen Gewissenlosigkeit nie erholt. Eine gesamte Kultur war mit einem Handstreich ausgelöscht.
Abermals sehen sich die Indianer gezwungen, gegen die drohende Zerstörung ihres Lebensraumes zu kämpfen. “Wir wurden einst aus unserem Land vertrieben“, beklagt Luis Sanakori Ramos “und die Geschichte wiederholt sich genau jetzt.“ Es geschieht in diesen Wochen und Monaten und es geschieht vor den Augen der Weltöffentlichkeit, so diese hinschauen möchte.
Abgesehen von der kaltblütigen Ignoranz wird an dem Konflikt ebenso deutlich, wie sehr sich indianisches Denken und die Einstellung zum Leben von jener der sich selbst gerne als “zivilisierten Welt“ bezeichnenden Bevölkerung unterscheidet. Statt sich als “Herren der Schöpfung“ und somit als berechtigt anzusehen, sich die Natur und ihre Ressourcen dienstbar zu machen, ist das Denken der Ureinwohner von einem Respekt der Umwelt gegenüber geprägt, der uns in seiner Tiefe fremd ist.
Während des Abschlusses der Demonstration im Inwood Hill Park betonten Redner die geradezu heilige Bedeutung, die das Wasser des heimischen Bodens für sie habe. Für sie sei Wasser ein lebender Teil der Schöpfung und damit dem Menschen hinsichtlich der Wertigkeit gleichgestellt. Diese Haltung mögen manche als hinterwäldlerische Naivität abtun oder romantisch verklären. Angesichts der mittlerweile deutlich spürbaren Umweltveränderungen, der sich verknappenden Ressourcen oder auch der Verseuchung des Grundwassers durch Intensivlandwirtschaft erscheint es jedoch mehr als fraglich, welche Sichtweise tatsächlich die vernünftigere und rationalere ist.
In jedem Fall waren die Indianer mit ihrer Philosophie in der Lage auf dem amerikanischen Doppelkontinent 15.000 Jahre zu überleben. Bedroht sind ihre Kultur und Existenz erst seit drei Jahrhunderten mit dem Auftauchen der europäischen Kolonialisten. Im Anschluss an den langen Marsch durch New York City fasst Luis Sanakori Ramos die Situation zusammen: “Wir haben keine Waffen, keinen Pfeil und Bogen. Wir haben nur Liebe. Liebe für unser Volk und unsere Kultur. Wir verlangen nicht mehr als Respekt. Respekt gegenüber Verträgen und Absprachen.“