Ein großartiger Abend mit Konstantin Wecker und seiner Band
“Jeder Augenblick ist ewig“
Konstantin Wecker gab im nordhessischen Vellmar ein großartiges Konzert. Nicht nur seine Poesie, seine politischen Texte und humoristischen Einwürfe gefielen dem Publikum. Es war vor allem der Musiker Konstantin Wecker, der mit einer exzellenten Band für Begeisterung sorgte.
“Das wird eine heiße Nacht.“ Bereits nach dem zweiten Song greift Konstantin Wecker zum Handtuch, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. “So habe ich seit den 80ern nicht mehr geschwitzt, als neben meinem Klavier immer eine Flasche Weißwein auf der Bühne stand.“ In der Tat – die Temperaturen unter dem großen Zeltdach in Vellmar sind enorm, doch das hindert Wecker und seine hervorragende Band nicht daran, ein zweistündiges energiegeladenes Konzert zu geben.
Mit “Wut und Zärtlichkeit“, dem Titelsong seiner aktuellen CD, eröffnet Wecker das Konzert. Im Laufe seines Lebens habe er erkannt, dass diese beiden Seiten, die Sehnsucht nach Zärtlichkeit, aber auch eine enorme Wut angesichts der gesellschaftlichen Verhältnisse, zu seiner Persönlichkeit gehören und beide Seiten präsentiert er auch an diesem Abend seinem Publikum. Seine Wut bringt er gleich beim zweiten Song des Abends (“Absurdistan“) zum Ausdruck, doch auch die leisen Töne beherrscht der Musiker vortrefflich – beispielsweise im tieftraurigen Liebeslied “Schwanengesang“.
Gerade diese beiden Pole – der politische, aufbrausende, zornige Liedermacher auf der einen und der zerbrechliche, empfindsame, spirituelle Poet auf der anderen Seite – zwischen denen Wecker im Verlaufe des Konzertes pendelt, sorgen für enorme Spannung und lassen den Applaus nach jedem Lied lauter ertönen. “40 Jahre Wahnsinn“ ist seine aktuelle Tournee betitelt, denn seit vier Jahrzehnten steht Wecker nun bereits auf der Bühne. “Es ist ein großes Geschenk, dass ich seit 40 Jahren das machen darf, was ich gerne tue und mir noch immer Menschen dabei zuhören“, schwärmt Wecker. Wer so ehrlich, stets selbstkritisch und aus tiefsten Herzen spricht wie Konstantin Wecker, hat Gehör verdient.
“Ein weiteres großes Geschenk ist es, dass ich im Verlaufe der Jahrzehnte wundervolle Menschen wie Harry Belafonte, Joan Baez, Miriam Makeba, Mercedes Sosa oder auch Dieter Hildebrandt kennengelernt habe. Uns alle eint die Utopie einer gewaltlosen Gesellschaft.“ Konstantin Wecker stimmt das utopische “Wenn unsere Brüder kommen“ an. “Eine Weltkarte, auf der das Land Utopia fehlt, ist keines Blickes würdig“, zitiert er Oscar Wilde.
Doch es sind nicht nur Weckers Texte und Gedanken, die es wert sind, Gehör zu finden. Was er mit seiner Band musikalisch zu bieten hat, ist exzellent. Multiinstrumentalist Johannes Barnikel (Keyboards, Trompete, Percussions und Akkordeon) begleitet Konstantin Wecker bereits seit vielen Jahren, weshalb er ihn scherzhaft “meinen Lebensgefährten“ nennt. Zuzuschauen und zuzuhören wie die beiden sich beim gemeinsamen Spiel, beispielsweise bei einer furiosen Improvisation während des Klassikers “Wenn der Sommer nicht mehr weit ist“, zu Höchstleistungen antreiben ist schlicht hinreißend.
Ein ungeheurer Glücksfall ist die Rückkehr von Jens Fischer, der bereits vor 10 Jahren zusammen mit Konstantin Wecker auf der Bühne stand und nun, nachdem er in den vergangenen Jahren als musikalischer Leiter der Blue Man Group fungiert hat, wieder dabei ist. Jens Fischer wechselt während des Konzertes derart häufig die Instrumente – so spielt er Gitarre, Bass, Percussions, Drums, ein Solo mit vier Eiern (Eggshakern), gibt eine Beatboxeinlage oder nutzt einen Koffer als Bassdrum – dass man sich im Verlaufe des Abends fragt, mit welchem Instrument oder Gegenstand er eigentlich nicht Musik erzeugen kann.
Ebenso wie Jo Barnikel harmoniert auch er ausgezeichnet mit Konstantin Wecker. Das zeigt sich unter anderem an seinem sensiblen, perkussiven Schlagzeugstil. Ähnlich wie Wecker beherrscht er die leisen Klänge ebenso wie die lauten Töne, beispielsweise beim bombastischen “Weltenbrand“, bei dem er zudem seine Vergangenheit bei der Blue Man Group einfließen lässt, indem er Wasser auf sein Schlagzeug gießt und damit für effektvolle Lichtspiele sorgt.
Bei Liedern wie dem ungeheuer vielschichtig arrangierten und mit Anleihen an Lou Reeds “Walk on the Wild Side“ angereicherten “Vom Schwimmen in Seen und Flüssen“, wird deutlich wie wunderbar die Musiker miteinander harmonieren. Jeder erhält die Gelegenheit sich mit Solos, die stets stilvoll und nicht effekthascherisch eingesetzt werden, zu präsentieren und jeder auf der Bühne scheint dem anderen nicht nur den verdienten Beifall zu gönnen, man spürt gar, dass die Musiker sich gegenseitig gerne zuhören. Was hier auf der Bühne passiert, ist kein Abspulen eines Programms, sondern echtes musizieren und das ist schlicht großartig.
Das Publikum ist begeistert und feiert Wecker und seine Band noch vor den Zugaben mit Standing Ovations. Mit einem Gute-Nacht-Lied (“Buonanotte Fiorellino“) beendet der mittlerweile 67jährige ein großartiges Konzert. Er hat seinem Publikum einen fantastischen Abend geboten voller “ewiger Augenblicke“, von denen er in seinem klugen Gedicht, das den Abend endgültig beschließt, spricht.
JEDER AUGENBLICK IST EWIG: Jeder Augenblick ist ewig, wenn du ihn zu nehmen weißt – ist ein Vers, der unaufhörlich Leben, Welt und Dasein preist. Alles wendet sich und endet und verliert sich in der Zeit. Nur der Augenblick ist immer. Gib dich hin und sei bereit! Wenn du stirbst, stirbt nur dein Werden. Gönn´ ihm keinen Blick zurück. In der Zeit muss alles sterben – aber nichts im Augenblick.