“Ich bin altmodisch und innovativ zugleich“
Im Gespräch mit Cynthia Barcomi
Seit nunmehr fast zwanzig Jahren versorgt die aus Seattle stammende Cynthia Barcomi die Berliner Bevölkerung mit traditionellen, US-amerikanischen Süßwaren und hausgerösteten Kaffeebohnen. In ihrem Café im Szenestadtteil Kreuzberg traf ich die Unternehmerin zu einem Gespräch.
“Macadamianüsse gehören auf ein Podest! Die schmecken so toll! Wenn man die so klein wie Staub hackt, kann man auch gleich Mandeln nehmen.“ Cynthia Barcomis Arme wirbelt aufgeregt durch die Luft und ihre Stimmfärbung bringt ihre Empörung deutlich zum Ausdruck. Der Anblick von unachtsamem Umgang mit Produkten, scheint für sie unerträglich zu sein. “Ich bekomme manchmal Fotos von Leuten geschickt, die meine Rezepte nachgebacken und dabei variiert haben.“ Cynthia Barcomi schlägt die Hände vor das Gesicht. “Mein Gott! Ich denke mir doch etwas dabei, wenn ich ein Rezept ausarbeite. Es sollte darum auch so gemacht werden… zumindest beim ersten Mal… danach macht was ihr wollt, aber dann ist es eben nicht mehr mein Rezept.“
Ich sitze einer Backenthusiastin gegenüber, die selbst mich vor ein paar Jahren dazu gebracht hat, es einmal mit dem Backen zu versuchen. Seitdem begleiten mich sowie meine Freunde und Verwandte alljährlich `Chocolate Chip Cookies` nach dem Rezept von Cynthia Barcomi durch die Vorweihnachtszeit. Gleich beim Betreten ihres Cafés in Berlin-Kreuzberg, in dem wir uns zu einem Gespräch verabredet haben, fällt mein Blick auf eine Kaffeeröstmaschine, die bereits von außen im Schaufenster zu bewundern ist. Gleich links neben der Eingangstür liegen mit Kaffeebohnen gefüllte Jutesäcke bereit, mit deren Inhalt im 20 Minuten-Takt die Röstmaschine befüllt wird, denn an drei Tagen in der Woche wird im `Barcomi´s` Kaffee geröstet.
C. BARCOMI: “Als ich auf den Gedanken gekommen bin, meinen eigenen Kaffee zu rösten, gingen die allermeisten Röstmaschinen, die in Deutschland produziert wurden, in die USA. In Deutschland war die Idee, seinen eigenen Kaffee zu rösten noch wenig verbreitet. Hier kannte man nur Industriekaffee.“
M. GRASS: “Aus welchen Regionen beziehen sie ihren Kaffee?“
C. BARCOMI: “Mein Kaffee kommt aus Afrika, Süd- & Mittelamerika und Indonesien. Wissen sie … entscheidend für die Qualität eines Kaffees ist immer die Kaffeebohne selbst. Mit welcher Maschine man den Kaffee dann zubereitet, ist im Grunde zweitrangig. Die Bohne ist entscheidend. Es ist wichtig, wo der Kaffee gewachsen ist, denn Kaffee schmeckt immer nach der Erde, in der er wächst.“
Cynthia Barcomi weiß vieles über ihren Kaffee zu berichten. Afrikanischer enthalte oftmals viel Säure – indonesischer hingegen nahezu keine. Ihr “Rwanda A1 Nasho“ schmecke nach Kakao und sei sehr würzig, während sich ihre kolumbianische Sorte durch einen sehr milden Geschmack auszeichne, was an der langen Reifezeit in den Anden läge. Wer sich so sehr mit einem Produkt auseinandersetzt, weiß Qualität zu schätzen. C. BARCOMI: “Ganz ehrlich – ich nehme meine eigene Espressomaschine mit auf Reisen. Ich kann den Kaffee in Hotels einfach nicht trinken.“
Mit der Eröffnung des Ladenlokals in Berlin-Kreuzberg, vor fast genau zwanzig Jahren, begann eine beachtliche Erfolgsgeschichte. Drei Jahre später folgte das `Barcomi´s Deli` in Berlin-Mitte. Beide Filialen gelten heute als erste Adresse, wenn es um traditionelles, US-amerikanisches Gebäck geht. Die Vitrinen an der Ladentheke sind gespickt mit New York Cheesecakes, Muffins, Brownies und weiteren Köstlichkeiten, die allesamt im Keller des Cafés gebacken werden. C. BARCOMI erinnert sich an die Anfangsjahre zurück: “Nirgendwo gab es handgemachtes Gebäck! Was man in Deutschland auf den Teller bekam, war alles industriell gefertigt.“
M. GRASS: “Ist denn ihr Angebot von Beginn an gut angekommen?“
C. BARCOMI: “Naja, das meiste war den Leuten damals völlig fremd. Was ist ein Brownie? Was ist ein Muffin? Was ist ein Bagel? Zunächst musste ich den Menschen das Vokabular beibringen.“
M. GRASS: “Sind manche Produkte sogar regelrecht auf Ablehnung gestoßen?“
C. BARCOMI: “Mein Karottenkuchen war für die Leute schockierend! Auch mein Cheesecake mit Kirschen stieß auf völlige Ablehnung. Aber da muss man Geduld haben. Ich war immer von dieser Kombination überzeugt, weil sie einfach lecker ist. Heute kommt der Kuchen super an.“
M. GRASS: “Gibt es denn, abgesehen vom Vokabular, auch generelle Unterschiede zwischen US-Amerikanern und Deutschen hinsichtlich des Geschmacks von Backwaren?“
C. BARCOMI: “Auf jeden Fall!“ Die Antwort kommt schnell und energisch. “Es gibt da dieses Vorurteil, dass im Amerika alles so furchtbar süß sein soll, aber ich finde, wenn ich mir die Auslagen in deutschen Bäckereien anschaue, dass hier viel zu viel Sahne, Gelatine und künstliche Aromen verwendet werden. Backen spielt generell in den USA eine andere Rolle. Für Amerikaner ist Backen etwas alltägliches, während man hier in Deutschland eher zu einem bestimmten Anlass etwas bäckt.“
M. GRASS: “Aber sicherlich gibt es auch Gemeinsamkeiten…“
C. BARCOMI: “Ja klar – und genau die versuche ich zu finden! Schokolade mag zum Beispiel im Grunde jeder. Auch Sachen mit Zitrone kommen überall gut an. Es gibt Kombinationen wie zum Beispiel Kirsche und Schokolade… das schmeckt einfach! Mit diesem Wissen kreiere ich dann eben einen Schoko-Kirsch-Mandel-Muffin. Man muss den Gast irgendwie abholen. Das geht auch über die äußere Form. Nehmen wir zum Beispiel einen Cookie. Da kann man sagen: `Den kennst du und den magst du`.. ich habe jetzt mal etwas Neues mit hineingetan… probier` das mal.`“
M. GRASS: “Hat sich im Verlauf der Jahre der Geschmack verändert? Gibt es Trends?“
C. BARCOMI blickt skeptisch: “Mich interessieren keine Trends. Ich mache traditionelle, amerikanische Backwaren. Nein – Trends sind mir egal. Ich mag einfache, klare Sachen, denn dann nimmt man die Substanz wahr. Ich mag es nicht, wenn man alles Mögliche zusammenwirft. Kochen und Backen hat auch etwas mit Entscheidungen zu tun. Man muss sich entscheiden, was man will, sonst wird es nichts.“
M. GRASS: “Ihre Backwaren sind – neben dem US-Ursprung und dem Geschmack – auch dafür bekannt, dass sie von Hand gemacht sind.“
C. BARCOMI: “Ja – bei uns gibt es auch keine Fertigmischungen. Das macht natürlich auch manches schwieriger. Man muss auf viele Dinge achten und reagieren. Nehmen wir zum Beispiel Äpfel – die variieren ja geschmacklich, aber auch von der Konsistenz. Darauf muss man achten. Auch das Wetter spielt eine Rolle bei der Hefezugabe. Das sind dann natürlich auch Ansprüche, die ich an das Personal stelle. Aber für mich ist ganz wichtig, dass wir alles von Hand machen. Das ist irgendwie altmodisch und innovativ zugleich. Das finde ich toll!“
Erneut erinnert sich Cynthia Barcomi an ihre Anfangsjahre zurück, als nicht nur die Verwendung manch ungewöhnlicher Zutat, sondern auch die Optik ihrer Produkte, als gewöhnungsbedürftig angesehen wurde.
C. BARCOMI: “Da haben Leute wirklich, mit Mitleid in der Stimme, gesagt: `Oh schade… das ist wohl misslungen` und ich habe dann ganz verwirrt beteuert: `Nein – das soll eigentlich genau so aussehen.“
In der Tat sehen die Süßwaren, die an den Nachbartischen serviert werden, anders aus, als man es aus Bäckereiketten gewohnt ist. Die Brownies sind nicht exakt rechteckig, die Cookies nicht kreisrund und die Verzierungen nicht wie mit einem Lineal gezogen. Man sieht dem Gebäck an, dass es von Menschen hergestellt wurde. Dass dieses als Makel angesehen wird, weil wir mittlerweile so sehr an industriell gefertigtes Essen gewohnt sind, ist erschreckend.
Cynthia Barcomi bringt ihre Abneigung gegen industriell produzierte Nahrung im Verlaufe unseres Gespräches immer wieder zum Ausdruck. Sie sieht diesbezüglich noch reichlich Bedarf an Aufklärungsarbeit in Deutschland.
C. BARCOMI: “Das ist aber auch Aufgabe der Gastronomen. Die müssen einfach gute Sachen anbieten. Es kann doch nicht sein, dass ich in einem Restaurant oder Café den gleichen Industriemüll vorgesetzt bekomme, der in den Tiefkühlern der Supermärkte liegt.“
Cynthia Barcomi ist nicht nur eine sympathische Frau, versierte Bäckerin und Mutter von vier Kindern, sondern fraglos auch eine gute Geschäftsfrau. Neben den beiden erwähnten Läden besitzt sie noch ein Catering-Unternehmen und hat als Autorin mit beachtlichem Erfolg diverse Backbücher veröffentlicht. In ihrem Online-Shop sind Backformen, diverse Zutaten, Kaffee, Tee und vieles mehr zu erwerben. Selbst frische Backwaren, die vakuumverpackt an die Kundschaft außerhalb Berlins versendet werden, sind dort bestellbar. Doch eine weitere Expansion schließt die US-Amerikanerin aus.
C. BARCOMI: “Jetzt reicht es! Es wird kein neues Geschäft mehr geben! Wissen Sie, da gibt es diese Idee: Wenn etwas gut ist, dann sind zwei davon besser als eins, und zehn sind dann noch besser. Aber das ist falsch! Natürlich habe ich viele Angebote. Ich könnte Filialen in München oder Düsseldorf eröffnen. Aber ich muss das doch alles irgendwie überwachen, denn um wirklich gut zu sein, braucht man unendlich viel Aufmerksamkeit. Qualität aufrechtzuerhalten ist ungeheuer schwierig. Ich habe damit wirklich genug zu tun.“
Neben der Qualitätssicherung ihrer gastronomischen Betriebe, möchte Cynthia Barcomi zukünftig ihren Schwerpunkt auf das Schreiben und Veröffentlichen von Backbüchern legen.
C. BARCOMI: “Meine Bücher sind meine Botschaft. Mit ihnen will ich inspirieren.“
Im vergangenen März ist ihr viertes Buch erschienen, dem zweifellos weitere folgen werden.
C. BARCOMI: “Meine Quelle ist nicht trocken, aber Pausen müssen sein.“
Sie wolle nicht einfach 70 beliebige Rezepte sammeln und dann veröffentlichen. Man brauche schon eine Inspiration.
Cynthia Barcomi hat einst Philosophie und Theaterwissenschaft an der Columbia Universität in New York studiert und über Jahre erfolgreich als Tänzerin gearbeitet, bevor sie in ihrer Wahlheimat Berlin ihre Backleidenschaft zum Beruf machte. Auf ihre künstlerische Vergangenheit angesprochen äußert C. BARCOMI spontan: “Da sind Verbindungen! Beim Backen und Tanzen geht es um Sinnlichkeit und Energie. Manchmal bearbeitet man einen Teig ganz schnell mit den Fingerspitzen, manchmal knetet man ihn ganz langsam und gefühlvoll.“ Cynthia Barcomi begleitet ihre Worte mit den entsprechenden Handbewegungen, die in der Tat etwas Ausdrucksstarkes und Tänzerisches haben.
C. BARCOMI: “Außerdem müssen die Rezepte, die ich mir ausdenke, wiederholbar sein, mit immer gleichbleibender Qualität. Das ist beim Tanzen auch so. Man hat vorgegebene Takte und die Bewegungen müssen bei jedem Auftritt gleich sein und mit der gleichen Energie ausgeführt werden.“ Ich erahne angesichts ihrer Bewegungen, welche Freude es Cynthia Barcomi macht, mit den Händen zu arbeiten, was mich auf meine nächste Frage bringt.
M. GRASS: “Finden sie überhaupt noch die Zeit, selbst zu backen?“
C. BARCOMI: “Ich backe schon noch oft, aber leider auch oft unter Stress, wie zum Beispiel im Fernsehen. Da gibt es Zeitdruck, einen fremden Herd, Kameras um einen herum. Aber ich mag auch diese Herausforderung unter besonderen Bedingungen zu backen.“
M. GRASS: “Und rein privat? Backen sie auch mal nur für sich einen Kuchen?“
C. BARCOMI: “Ja, das kommt schon vor. Ich backe für Freunde oder zusammen mit meinen Kindern. Das ist dann auch etwas völlig anderes als berufliches Backen, wo man immer ganz exakt und kritisch sein muss und immer alles genauestens mitschreibt. Wenn ich mit meinen Kindern backe, ist das natürlich entspannter und macht einfach Spaß.“ Cynthia Barcomi hält kurz inne und fügt mit einem Lächeln hinzu: “Ich backe wirklich immer noch sehr gerne!“