Unterwegs… in Hamburg

Magda Thürey – Teil 2
„Hitlers Niederlage ist nicht unsere Niederlage, sondern unser Sieg!“
(aus einem Flugblatt der Bästlein-Jacob-Abshagen Widerstandsgruppe)
Während ihrer Schulzeit entschloss sich Magda Thürey (1899-1945), später selbst als Lehrerin zu arbeiten, insbesondere um sozial benachteiligten Kindern zu einer umfassenden Bildung zu verhelfen. Nach Abschluss ihrer Ausbildung fand sie eine Anstellung an der Schule in der Lutterothstraße im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel.

Schule an der Lutterothstraße
Magda stand dem bestehenden autoritären Schulsystem sehr kritisch gegenüber, arbeitete aktiv in der Hamburger Lehrergewerkschaft mit und trat 1925 der KPD bei. Mit der Auflösung der Hamburger Bürgerschaft (1933) regierte die NSDAP als alleinige Partei in der Hansestadt und während sich der überwiegende Teil der Bevölkerung in das neue System einfügte, gab es einige Aufrechte, die mutig gegen den Terror und die Unterdrückung der menschenverachtenden Diktatur Widerstand leisteten. Eine von ihnen war Magda Thürey.
Ich habe mich heute auf den Weg gemacht, um einige Orte aufzusuchen, die an Magda Thürey erinnern oder in ihrem Leben eine Rolle gespielt haben und spaziere bei herrlichem Sonnenschein durch den Hamburger Stadtteil Eimsbüttel.
Mit der Regierungsübernahme der NSDAP veränderte sich Magda Thüreys Leben grundlegend. Nicht nur setzten die regierenden Nationalsozialisten allen Gedanken an eine fortschrittliche Schulpolitik ein Ende, Magda Thürey wurde zudem 1933 ohne jeglichen finanziellen Ausgleich aus dem Schuldienst entlassen. Als Begründung hierzu diente das zuvor erlassene „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, dessen Paragraf 2 BeamtInnen eine Mitgliedschaft in der KPD untersagte.
Zu jener Zeit lebte Magda bereits mit Paul Thürey, den sie einige Jahre zuvor kennen und lieben gelernt hatte, in einer gemeinsamen Wohnung, die bereits mehrfach durchsucht worden war, denn innerhalb der Hamburger Polizei war mittlerweile ein Sonderkommando geschaffen worden, mit dem Ziel „radikalpolitische Umtriebe“, womit insbesondere Aktivitäten der KPD gemeint waren, zu bekämpfen. Bei umfangreichen Razzien wurden zahlreiche Kommunisten festgenommen, Schriften und Druckwerkzeuge beschlagnahmt. Nur etwa zwei Monate nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten waren sämtliche alternativen Meinungen aus der Öffentlichkeit verschwunden. Demonstrationen, links orientierte Zeitungen und das Zeigen entsprechender Flaggen waren verboten.

Synagoge Hohe Weide
Ich passiere ein modernes, schmuckloses, umzäuntes und mit weißen Kunststeinplatten verkleidetes Bauwerk. Mein Blick fällt auf ein bedrohliches Maschinengewehr, das fest in den Händen eines aufmerksamen Wachpostens, der mich genauestens beäugt, liegt. Bei dem Gebäude handelt es sich jedoch um keinen Hochsicherheitstrakt, sondern um die 1960 eingeweihte Synagoge Hohe Weide, über deren Außentür eine hebräische Psalm-Inschrift zu lesen ist: „Friede wohne in deinen Mauern, in deinen Häusern Geborgenheit.“ Die Verwirklichung dieser Widmung ist der Gemeinde nur zu wünschen, doch der Anblick der bewaffneten Sicherheitskräfte zeigt mir, wie schwierig die Erfüllung dieses Ansinnens ist, denn seit Anfang der 1990er Jahre wird die Synagoge rund um die Uhr von der Polizei bewacht, da es wiederholt zu Sachbeschädigungen, darunter Graffitis in Form von Hakenkreuzen, an jüdischen Gebäuden gekommen ist.

Kaiser-Friedrich-Ufer
Nach wenigen Schritten erreiche ich das Kaiser-Friedrich-Ufer, eine kopfsteingepflasterte Straße, die am durch den Stadtteil Eimsbüttel fließenden Isebekkanal entlangführt. Durch die Äste und Blätter etlicher Bäume erkenne ich ein weißes Zelt sowie eine Menschenmenge, die sich um einen erhöht gesetzten Halbkreis aus Stein versammelt hat. In den Abendstunden des 15.Mai 1933 hatten sich an diesem Ort Studenten versammelt und einen Scheiterhaufen aus Büchern aufgeschichtet, auf dem Schriften von sogenannten „undeutschen“ Autorinnen und Autoren wie Lion Feuchtwanger, Heinrich und Thomas Mann, Erich Maria Remarque, Kurt Tucholsky und vielen mehr in den lodernden Flammen aufgingen.

Bücherverbrennung am 10.05.1933 in Berlin
Die Bücherverbrennung, bei der Studenten, Professoren und Mitglieder nationalsozialistischer Parteiorgane Werke von ihnen gebrandmarkter Autoren den Flammen übergaben, wurde von der Deutschen Studentenschaft als reichsweite Aktion geplant und inszeniert. Am 10. Mai 1933 – aufgrund der Einführung des neuen Senats wurde diese in Hamburg um fünf Tage verschoben – fand sie auf dem damaligen Berliner Opernplatz, der seit 1947 den Namen Bebelplatz trägt, sowie in einundzwanzig weiteren deutschen Universitätsstädten statt und läutete den Beginn der systematischen Verfolgung jüdischer, marxistischer, pazifistischer und anderer oppositioneller oder politisch unliebsamer Schriftsteller ein.

Zur Erinnerung an die Hamburger Bücherverbrennung wurde 1985 ein Mahnmal geschaffen. In dem erhöhten Halbkreis sind rote Marmorblöcke eingelassen, auf denen verschiedene Inschriften, darunter die Titel verbrannter Bücher, Namen Hamburger Autorinnen und Autoren, deren Bücher den Flammen zum Opfer fielen sowie die Aufforderung zum Engagement gegen Faschismus und Krieg, zu lesen sind. Am Jahrestag der Bücherverbrennung findet hier zum Gedenken alljährlich eine Lesung damals verbrannter Texte statt, der ich eine Weile beiwohne. Etwa 200 Menschen hören derzeit einer Dame zu, die Heinrich Heine rezitiert, gefolgt von zwei Schülerinnen, die einen Text von Erich Kästner vortragen. Unter den Zuhörern befinden sich mehrere Schulklassen, die sich in Projekten mit dem Thema auseinandergesetzt haben und an Stellwänden ihre Ergebnisse präsentieren.

Viele dieser ausgestellten Plakate verdeutlichen, dass der Akt der Bücherverbrennung, bei dem Menschen diffamiert und ihre Hinterlassenschaften beseitigt wurden, den Boden bereitete, um letztlich auch die Vernichtung von Menschen zu legitimieren. Magda Thürey war zu diesem Zeitpunkt sicherlich bewusst, dass die politischen Entwicklungen ihr persönliches Leben erheblich erschweren werden, aber ihr Wille der verheerenden Entfaltung der nationalsozialistischen Ideologie die Stirn zu bieten, blieb ungebrochen. Nach der durch die regierenden Nationalsozialisten erfolgten Zerstörung ihrer beruflichen Existenz heiratete Magda am 27. Dezember 1933 Paul Thürey, der zu jener Zeit arbeitslos war und somit für den Unterhalt des Paares ebenfalls nicht aufkommen konnte.

Magda & Paul Thürey
Um sich eine neue Existenz zu schaffen, richtete sich die beiden von ihrem Ersparten ein Seifengeschäft in der Osterstraße 100 ein. Nur einige hundert Meter entfernt von dem Mahnmal zur Bücherverbrennung, treffe ich auf jenes Gebäude, in dem gegenwärtig statt Seifen Pizza und andere mediterrane Gerichte angeboten werden.

Osterstraße 100
Das Geschäft mit dem Namen „Waschbär“ – ein Wortspiel mit Magdas Geburtsnamen Bär – wurde schon bald in die nur wenige Schritte entfernte Emilienstraße 30 verlegt, wo es als geheimer Treffpunkt der mittlerweile verbotenen KPD sowie der Bästlein-Jacob-Abshagen Widerstandsgruppe diente.

Emilienstraße 30
Die Organisation um die KPD-Mitglieder Bernhard Bästlein, Franz Jacob und Robert Abshagen, die von 1940 bis zum Kriegsende gegen das nationalsozialistische Regime kämpfte, versteckte gelegentlich ihre illegalen Druckschriften in Seifenkartons, die sich hinter der einstigen Eingangstür, auf die ich soeben blicke, türmten.

Emilienstraße 30
Nach zahlreichen intensiven Besprechungen kamen Bernhard Bästlein, Franz Jacob und Robert Abshagen überein, die versprengten Mitglieder der KPD sowie weitere kleinere Widerstandsgruppen zu einer Organisation zu vereinigen. Diese sollte insbesondere in den Hamburger Großbetrieben verankert sein und dazu beitragen, den Sturz des nationalsozialistischen Regimes und die Beendigung des Krieges voranzutreiben. Ein konspiratives Netzwerk in über dreißig Firmen wurde geschaffen, mit dem Ziel die Arbeiterschaft zu mobilisieren, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene zu unterstützen und mittels Sabotage die Rüstungsproduktion zu behindern.
Die Organisation war hierarchisch strukturiert. Unterhalb des Trios Bästlein, Jacob und Abshagen waren die Industriegruppenleitungen, die in die Bereiche „Werften“ und „Metall“ – der Aufbau weiterer Gruppen wie „Verkehr“, „Chemie“ oder „Holz“ befand sich in der Planung – angegliedert. Innerhalb dieser Industriegruppen wurden Betriebszellen eingerichtet, wovon sich die größte mit über 100 Belegschaftsangehörigen auf den Werften von Blohm und Voss befand. Zwischen den jeweiligen Ebenen bestand stets lediglich über einen Verbindungsmann Kontakt zur nächsthöheren Ebene, um zu gewährleistet, dass im Falle einer Verhaftung ausschließlich Aussagen über diese eine Person gemacht werden konnten und die weiteren Gruppenmitglieder geschützt blieben.
Nach Jahren der Erwerbslosigkeit hatte Magdas Ehemann Paul 1939 eine Anstellung in seiner einstigen Lehrfirma Conz-Elektromotoren-Werke, die mittlerweile zu einem Rüstungsbetrieb umstrukturiert worden war, gefunden. Dort fungierte er als Verbindungsmann zu der entsprechenden Industriegruppenleitung der Widerstandsorganisation, gab seine Einschätzungen bezüglich der Stimmungslage der Arbeiterschaft weiter und bemühte sich seine Kollegen über die Sinn- und Aussichtslosigkeit des Krieges zu informieren, während seine Frau den konspirativen Seifenladen in der Emilienstraße führte, hinter dessen Verkaufsraum das Ehepaar Thürey ein kleines Appartement bewohnte.
Die Zusammenkünfte der Gruppe fanden wechselnd in verschiedenen privaten Wohnungen und Geschäften statt. An einem Tabakkiosk auf dem Rathausmarkt wurde unauffällig der nächste Treffpunkt vereinbart. Der Besitzer des Kiosks, dem – auch wenn er aus Sicherheitsgründen nie offiziell eingeweiht wurde – bewusst gewesen sein dürfte, dass er Teil einer Widerstandsorganisation war, nahm verschlüsselte Nachrichten entgegen. Es kam vor, dass ein Kunde beim Einkauf beiläufig sagte: „Grüß Franz, wenn er das nächste Mal herkommt. Sag ihm, Walter hätte gesagt, er soll am Montag seine Karre wieder abholen.“
Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen wurden die Aktivitäten der Gruppe im Oktober 1942 durch die Staatspolizeileitstelle Hamburg aufgedeckt und mehr als 100 der etwa 200 Mitglieder, unter ihnen auch Paul Thürey, festgenommen. Wochenlang wurden diese unter Folter verhört, bevor sie um die Weihnachtszeit in die Gestapohaftanstalt Fuhlsbüttel verlegt wurden. Diese war von den Nationalsozialisten bereits wenige Wochen nach der Machtübernahme eingerichtet worden. Die Leitung der ursprünglichen Strafanstalt wurde an SS- und SA-Angehörige übertragen, deren brutale und skrupellose Behandlung der gefangenen Regimegegner mehr als 250 Männern und Frauen das Leben kostete.
Während die verhafteten Mitglieder der Bästlein-Jacobs-Abshagen Gruppe in Fuhlsbüttel auf ihre Prozesse warteten, wurde die Stadt Ende Juli 1943 von schweren Luftangriffen getroffen, die alles in den Schatten stellten, was bisher in der Geschichte des Luftkrieges bekannt war und zu einer weitgehenden Lähmung des öffentlichen Lebens führten. „Beim Weltuntergang kann es nicht schauriger zugehen als in der Nacht auf den 28. Juli 1943 in Hamburg“, erinnert sich ein Überlebender der Bombennächte. Augenzeugen berichten, dass die Straßendecken aufgrund der Hitze schmolzen und zahlreiche Menschen, die aus ihren brennenden Häusern flohen, im Asphalt stecken blieben und innerhalb Sekunden Feuer fingen.

Hamburg nach den Luftangriffen
Mehr als die Hälfte der Wohnungen waren nach den Bombennächten völlig zerstört und etwa 900.000 Hamburger und Hamburgerinnen besaßen kein Obdach mehr. Die Wasser-, Gas und Stromzufuhr war nicht mehr gewährleistet und die Ernährungslage katastrophal.

Hamburg nach den Luftangriffen
Zu diesem Zeitpunkt fällte der zuständige Hamburger Generalstaatsanwalt Dr. Erich Drescher eine folgenreiche Entscheidung und gewährte Anfang August 1943 ca. 2000 Häftlingen, darunter etwa 50 Mitglieder der Bästlein-Jacobs-Abshagen Gruppe, einen zweimonatigen Hafturlaub mit der Auflage, sich nach dieser Zeit wieder einzufinden. Magda Thürey stellte sowohl ihre Wohnung in der Emilienstraße als auch ein Gartenhaus zur Verfügung, um einigen Betroffenen eine Unterkunft zu gewähren.
Ein Teil der in den Hafturlaub entlassenen Häftlinge beschloss, sich nicht an diese Auflage zu halten und setzte seine Widerstandsarbeit im Untergrund fort. Doch der Polizei gelang es einen Spitzel in die Gruppe einzuschleusen, sodass bereits nach wenigen Wochen nahezu sämtliche im Untergrund befindlichen Widerstandskämpfer erneut gefasst waren. In den sogenannten Hamburger Kommunistenprozessen wurden zahlreiche von ihnen zum Tode verurteilt und 70 Mitglieder der Gruppe hingerichtet.
Folglich wurde die Situation auch für Magda Thürey, die nach wie vor den konspirativen Seifenladen führte, zunehmend prekärer.