Unterwegs… in Bonn

Petra Kelly – Teil 3: Auf der Suche nach dem Himmel

Bundesarchiv, B 145 Bild-F065187-0014 / Engelbert Reineke / CC-BY-SA 3.0
„So musste ich feststellen,
dass ich während meiner achtjährigen, sehr einsamen Zeit als ökofeministische grüne Abgeordnete
zu einem einsamen Menschen geworden bin.“
(Petra Kelly)
Es war der späte Abend des 6. März 1983. Seit Stunden lag eine schier unerträgliche Spannung in der stickigen Luft, denn das Rennen an diesem historischen Wahlabend blieb lange offen. In den Hochrechnungen schwankte das Ergebnis der Grünen zwischen 4,6 % und 5,6 %, bis sich endlich die Anspannung entlud. Mit 5,6 % der Zweitstimmen und 27 Abgeordneten zogen die Grünen erstmals in den Deutschen Bundestag ein. Bunte Luftballons stiegen in die Luft, Menschen lagen sich in den Armen und prosteten sich zu. Es wurde geklatscht, gesungen, gelacht und Freudentränen geweint, als der Liedermacher Konstantin Wecker auf die Bühne sprang und überwältigt vor Glück seinen Hit „Genug ist nicht genug“ anstimmte.

Otto Schily & Petra Kelly Bonn, 1983 Bundesarchiv, B 145 Bild-F065187-0022 / Reineke, Engelbert / CC-BY-SA 3.0
Petra Kelly war eine der neugewählten Abgeordneten, die in den Bundestag einziehen sollten, weshalb sie ihren ungeliebten, aber sicheren Job in der Brüsseler Verwaltung der Europäischen Gemeinschaft aufgab und in die damalige Bundeshauptstadt Bonn umzog. „Als ich die EG verließ, konnten viele Frauen nicht verstehen, dass ich einen so sicheren Arbeitsplatz aufgebe, um in einer Männerdomäne zu arbeiten“, erinnerte sie sich an ihre damalige Entscheidung.
Petra Kelly, die Lehrerin Marieluise Beck und der Rechtsanwalt Otto Schily wurden zu SprecherInnen der neu formierten Fraktion gewählt und der junge, aufstrebende Joschka Fischer zum parlamentarischen Geschäftsführer ernannt.

Jürgen Reents & Joschka Fischer / Bundesarchiv, B 145 Bild-F065084-0009 / Schaack, Lothar / CC-BY-SA 3.0
Marieluise Beck, die bis 2017 ihr Bundestagsmandat behielt, erinnert sich, wie die Fraktion damals gemeinsam vom Hauptbahnhof mit der U-Bahn bis zur damaligen Station „Tulpenfeld“ angereist sei. „Dann fuhren wir die Rolltreppen hoch und kamen auf diesen Platz, von wo es ins Regierungsviertel ging. Das hatte etwas Unwirkliches. Weil der Gedanke für mich so unvorstellbar war, dass wir jetzt tatsächlich ordentliche Parlamentarier sein sollten.“

Marieluise Beck, 2017 / CC BY 2.0
Auch ich habe heute Vormittag am Bonner Hauptbahnhof die U-Bahn genommen und trete nach kurzer Fahrt aus dem Untergrund auf den von Marieluise Beck erwähnten Platz, von dem aus ein kurzer Spazierweg in das einstige Regierungsviertel führt.

U-Bahn-Station „Heussallee“
Nachdem 1948/49 in Bonn der Parlamentarische Rat das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland ausgearbeitet hatte, wurde die Stadt zu deren vorläufigem Parlaments- und Regierungssitz ernannt, woraufhin Bonn eine umfangreiche Erweiterung erfuhr, indem es über das neuerrichtete Regierungsviertel, das ich mir heute anschauen werde, mit der bis 1969 selbstständigen Stadt Bad Godesberg zusammenwuchs.
Ich gewinne unverzüglich den Eindruck, dass dieser Bezirk nie mit der Kernstadt zusammengewachsen ist. Vielmehr erscheint mir das einstige Regierungsviertel eine visionslose Einheit zu bilden, das BesucherInnen durch einen imaginären Eingang betreten. Hinter diesem finde ich eine Ansammlung von Gebäudekomplexen vor, die ich meinem ersten Impuls folgend als „phantasielos“ beschreiben würde. Die makellosen und erlesenen Fassaden stehen weder zueinander noch zu der Stadt Bonn in einem erkennbaren Zusammenhang. Dieser Eindruck setzt sich beim Anblick der wenigen Passanten, denen ich begegne, fort. Die Plätze sind nahezu menschenleer und wirken ebenso leblos, kalt und distanziert wie die sie umschließende Architektur. Die vereinzelten Personen strahlen aus, dass sie sich gezwungenermaßen an diesem Ort aufhalten, wie die Taxifahrer, die aus Mangel an Fahrgästen ihre Fahrzeuge zu putzen beginnen, Straßenkehrer, die dafür sorgen, dass ich mich auf den wohl saubersten Gehsteigen der Stadt bewege sowie junge, adrett gekleidete Angestellte, die ihr lukrativer Job hierher gespült hat.

Einstiges Regierungsviertel
Am 20. Juni 1991 beschloss der Deutsche Bundestag nach leidenschaftlicher Debatte, infolge der deutschen Wiedervereinigung seinen Sitz von Bonn nach Berlin zu verlegen, weshalb für die bestehenden Liegenschaften eine neue Nutzung gefunden werden musste. Zahlreiche Gebäude, in denen rund 1000 MitarbeiterInnen für eine nachhaltige Entwicklung unseres Planeten sorgen sollen, wurden daraufhin den Vereinten Nationen zur dauerhaften Nutzung überlassen, was zur Folge hat, dass ich mich hier auf exterritorialem Gebiet bewege.
Dieses verlasse ich ein wenig ernüchtert und betrete das Tulpenfeld, ein einst landwirtschaftlich genutztes Areal, das in den 1960er-Jahren von Kränen und Baggern heimgesucht wurde, um hier ein Gebäudeensemble für den Parlamentsbetrieb zu errichten. So finde ich mich inmitten mehrerer drei- bis sechsgeschossiger Bürohäuser wieder, in denen einst verschiedene Bundesministerien sowie die Bundespressekonferenz beheimatet waren.

Tulpenfeld
Dominiert wird das Tulpenfeld von einem 18-geschossigen, heute von der Bundesnetzagentur genutztem Hochhaus, in dem sich die Büros der Abgeordneten befanden. Petra Kelly bezog ihr Arbeitszimmer in der 7. Etage, aus der sie fortan nahezu täglich auf dieses zwar architektonisch zusammenhängende, doch auch recht phantasielos wirkende Ensemble blicken konnte.

Tulpenfeld, einstiges Abgeordneten-Hochhaus
Am 29.3.1983 erfolgte die konstituierende Sitzung des neu gewählten Bundestages. Die Grünen zogen medienwirksam mit Kelly an der Spitze in das Parlamentsgebäude und hatten zu diesem Anlass internationale Gäste aus der Bürgerrechts- und Friedensbewegung eingeladen, denen Petra Kelly versprach, die gemeinsamen Ideen niemals um der Macht willen zu verraten.

Petra Kelly und Marieluise Beck beim Einzug in den deutschen Bundestag
„Petra Kelly, mit der ihr eigenen Beharrlichkeit, hatte für globale Vernetzung gesorgt. Gäste aus aller Welt wurden eingeflogen. Indigene aus Nordamerika, Friedensaktivisten aus den USA und Großbritannien, Anti-Atom-Kämpferinnen aus dem Elsass. Die Abgeordneten rollten eine große Weltkugel vor sicher her. Dahinter marschierten die Küchenbrigade von der Startbahn West, Baumschützer, Daimler-Benz-Teststreckengegner, Gorleben-Aktivisten“, erinnert sich Marieluise Beck an jenen denkwürdigen Tag.
Die Stadt Bonn im Süden von Nordrhein-Westfalen wurde zu Kellys neuer Heimat. Mit ihren gut 330.000 Einwohnern zählt sie heute zwar zu den zwanzig größten Städten Deutschlands, doch wirkt sie trotz mehrerer Hochhäuser um einiges beschaulicher als Brüssel, wo Kelly die vergangenen Jahre verbracht hatte, und sich nie heimisch fühlte. Vielleicht hat sie so wie ich heute in ihren seltenen Arbeitspausen einen kurzen Spaziergang am Ufer des Rheins unternommen, wo mir bei trübem Nieselwetter lediglich vereinzelte motivierte Jogger und beflissene Angestellte der Straßenreinigung begegnen.

Bonn, Rheinufer
Am Hintereingang des einstigen Plenarsaales stoße ich auf die von Weitem sichtbare, vom US-amerikanischen Bildhauer Mark di Suvero aus sechs massiven Stahlträgern gefertigte Skulptur „L´Allume“. 1992 erstand die Stadt das Werk des Künstlers, der heute als einer der bedeutendsten Vertreter des Konstruktivismus gilt. Ich umrunde das monumentale und raumgreifende Kunstwerk, das allein aufgrund seiner Größe und des verwendeten Materials, das in dem für den Künstler typischen Rotton lackiert wurde, Respekt einflößt. Einer der Stahlträger scheint ähnlich einem Wegweiser über den Fluss hinaus in Richtung der seinerzeit neuen Hauptstadt Berlin und somit in die Zukunft der damaligen Bundesrepublik zu deuten.

„L´Allume“, Mark di Suvero
In der entgegengesetzten Richtung blicke ich auf das von einem hohen Metallzaun eingefasste Alte Wasserwerk, das, wie ich angesichts des wuchernden Unkrauts und Efeu an dem umgebenden Mauerwerk empfinde, die Vergangenheit symbolisiert. Hinter den maroden Mauern des neugotischen Gebäudes wurde der Beschluss gefällt, die ferne Metropole an der Spree zum zukünftigen Regierungssitz zu ernennen.
Das Industriegebäude diente ab 1873 und bis zum Jahr 1958 der Wasserversorgung der Stadt, doch als der ursprüngliche Plenarsaal des Parlaments Ende der 1980er-Jahre abgerissen wurde, benötigte der Bundestag ein Ausweichquartier und die Wahl fiel auf das einstige Pumpenhaus, in dem folglich von 1986 bis 1993 der Deutschen Bundestags beheimatete war.


Bonner Wasserwerk
Die Fraktion der Grünen, die im März 1983 in den Bundestag einzog, war eine bunt gemischte Ansammlung von Personen unterschiedlichster Herkunft und politischer Ausrichtung, die sich untereinander kaum kannten. Da gab es konservative NationalistInnen mit zweifelhafter Vergangenheit, engagierte TheologInnen, einstige KommunistInnen, Alt-68er, Menschen, die verschiedensten Bürgerinitiativen entstammten, darunter AtomkraftgegnerInnen, VertreterInnen der Interessen von Homosexuellen, radikale UmweltschützerInnen und pazifistische RüstungsgegnerInnen. Marieluise Beck erinnert sich an die damaligen Herausforderungen: „Die innere Zerreißprobe war ungeheuer groß. Es gab eine wahnsinnige Vielfalt der Meinungen und politischen Verortungen von Herbert Gruhl, der als konservativer Ökologe aus der CDU kam, bis zu Jutta Ditfurth, die eine Fundamentalopposition im Parlament für angebracht hielt. Das Spannungsverhältnis reichte von links außen bis sehr konservativ.

Geschäftsstelle der Grünen in den 1980er-Jahren
Petra Kelly war hinsichtlich der täglichen Arbeit als Abgeordnete nach anfänglichem Enthusiasmus rasch ernüchtert, hatte sie sich ihre Tätigkeit doch aufregender vorgestellt. Statt gesellschaftliche Veränderungen voranzutreiben, musste sie erfahren, dass im Bundestag wie auch in ihrer eigenen Partei Positionskämpfe, das Kaschieren von Unkenntnis, Eifersucht und Eitelkeiten auf der Tagesordnung standen. So hatte sie sich die Arbeit im Parlament nicht erträumt.
Jo Müller, Gründungsmitglied der Grünen und ab 1985 Abgeordneter im Bundestag, würdigt Petra Kellys Bedeutung für die Partei: „In den USA mediengeschult, hatte Petra Kelly zu Beginn der 80er ein neues Thema und einen neuen Politikstil in die Bundesrepublik eingeführt. Das Thema hieß Ökologie, der Stil hieß `symbolische Politik`. Von ihr konnte man die gewaltfreie, aber mediengerechte Blockade, das Selbstanketten am richtigen Ort zur richtigen Zeit, aber eben auch die Zivilcourage für den richtigen Zweck lernen.“ Sie habe den Grünen den Weg über die 5%-Hürde gewiesen. Doch nicht viele innerhalb der Partei, in deren Anfangsjahren generelle Skepsis gegenüber Personenkult herrschte, wollten Kelly diese Wertschätzung zugestehen.
Bereits wenige Tage nach dem triumphalen Bundestagseinzug offenbarte sich Kellys Überlastung, als sie einen völligen Zusammenbruch erlitt, woraufhin ihr ein Kuraufenthalt in Bad Münstereifel verordnet wurde. Dort legte sie in einem Brief ihren Zustand offen: „Ich fühle mich weltelend – seit dem Einzug in den Bundestag hatte ich viele ohnmachtsähnliche Anfälle, schlimme Kreislauf-, Herzstörungen. Die drei Wochen vom 6. bis zum 29. März waren innerhalb der Fraktion so unproduktiv, so lieb- und seelenlos. Vieles, das ich in den vier Jahren Doppelarbeit in Brüssel und für die Grünen mit meiner Gesundheit vernachlässigt habe, holt mich jetzt ein.“ Dennoch brach sie den Kuraufenthalt vorzeitig ab, um im Bundestag ihre erste Rede zu halten.
Dort sprach sie in einer für das Parlament bislang unbekannten Sprache. Leidenschaftlich, emotional und rigoros trieb sie ihre ZuhörerInnen durch verschiedenste Themenfelder, wobei ihr enormes Redetempo zu dem Zwischenruf „Nehmen sie bitte Rücksicht auf den Stenografen!“ aus der CDU/CSU-Fraktion führte. „Ich spreche so schnell, weil Frauen 2000 Jahre nicht viel zu sagen hatten und das jetzt nachholen müssen“, entgegnete Petra Kelly dem wiederholten Vorwurf, ihrem Sprechtempo sei mitunter nur schwer zu folgen. Wie sehr die etablierten Parteien mit ihr fremdelten, zeigte sich, als der amtierende Bundeskanzler Helmut Kohl im Anschluss an Kellys Rede, während der sie sich wiederholt auf Persönlichkeiten wie Mahatma Gandhi und Martin Luther King bezog, urteilte, die Grünenpolitikerin habe Hass gesät. Eine Äußerung, die tief blicken lässt.
Manche politische Differenz war an der schmalen Theke, auf der ich meinen dampfenden Kaffee abstelle, für einen kurzen Augenblick vergessen. „In keinem Regierungsviertel der Welt gibt es einen solchen unprätentiösen Ort für die spontane Kommunikation ohne Tagesordnung“, erinnerte sich der einstige Arbeitsminister Norbert Blüm. Ich stehe am Bundesbüdchen, einem ovalen Kiosk, der mit mehrjähriger Unterbrechung seit 1957 im Bonner Regierungsviertel die Menschen mit Getränken, kleinen Stärkungen und Zeitungen versorgt. Ich lasse meinen Blick über die Glasfassaden der benachbarten Bürogebäude schweifen und empfinde diesen altmodischen Stand als eine wohltuende Ausnahme in der sterilen Umgebung.

Das Bundesbüdchen
Der Familie Rausch, die das Bundesbüdchens in zweiter Generation führt, wurde ein einzigartiger Einblick in das aktuelle politische Geschehen ermöglicht. Bereits der erste Kanzler der Bundesrepublik Konrad Adenauer kaufte sich hier seine Zeitung, Herbert Wehner und Franz Josef Strauß vertilgten Würstchen, Helmut Kohl deckte sich mit Brötchen ein und Joschka Fischer erstand neben einem Stapel Tageszeitungen auch einige Asterix-Hefte.
Auch Klaus Kinkel, der einstige Justizminister und Vizekanzler, war Stammkunde am Bundesbüdchen. Als am Nachmittag des 11. März 1999 Oskar Lafontaine überraschend als Minister zurückgetreten war, erreichte er atemlos die Verkaufstheke und verkündete nicht ohne Schadenfreude: „Sie haben keinen Finanzminister mehr.“ Woraufhin ihm aus dem Kiosk trocken entgegnetet wurde: „Na, sie haben jetzt auch keinen mehr.“
50 Jahre zuvor, am 7. September 1949 tagte seinerzeit noch in einem Provisorium erstmals der neu zusammengetretene Bundesrat und Bundestag. Die geschäftstüchtige und einfallsreiche Kriegswitwe Christel Rausch stellte unmittelbar gegenüber dem Eingang ihren Obstkarren auf und bot den Abgeordneten überaus erfolgreich frische Früchte an. Schon bald erweiterte sie ihren Stand um einen Bretterverschlag, bis 1957 das Bundesbüdchen entstand, das, bis der Umzug nach Berlin und die darauffolgenden Baumaßnahmen im Regierungsviertel erfolgten, Bestand hatte. 2006 wurde der Traditionskiosk abgebaut. Doch ein Förderverein kämpfte unermüdlich und erfolgreich für dessen Wiedererrichtung. Seit 2020 steht das Bundesbüdchen nahe seinem ursprünglichen Standort und bietet, wie bereits in den 1980er-Jahren, Passanten wie mir Getränke, Snacks und Zeitungen an.
Der Einzug in den Bundestag kann als Höhepunkt in Petra Kellys politischer Laufbahn, in der Rückschau aber zugleich auch als Wendepunkt ihrer Karriere bezeichnet werden. Die einst flammende Rednerin, die zuvor bei Demonstrationen und Kundgebungen mühelos imstande war, Tausende ZuhörerInnen in ihren Bann zu ziehen, konnte sich im Bonner Plenarsaal nicht entfalten, wirkte sie doch hinter dem dortigen Rednerpult zerbrechlich und deplatziert.
Sie war Mitglied des Auswärtigen Ausschusses sowie der Unterausschüsse für Abrüstung, Rüstungskontrolle und für Fragen der Europäischen Gemeinschaft. Ihre Herzensthemen blieben Friedenspolitik und Menschenrechte. Doch sie wurde von der parlamentarischen Realität enttäuscht. Die dortigen Auseinandersetzungen schienen ihr von geringem Niveau und oftmals lediglich Scheingefechte zu sein, bei denen weniger die Inhalte als die jeweilige persönliche Karriere im Zentrum der Überlegungen stand. Mehr Freude und Befriedigung schien ihr die Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen Gruppen, insbesondere mit internationalen Friedens- und Menschenrechtsorganisationen zu bereiten. So unterstützte sie Oppositionsgruppen in den sozialistischen Ländern Osteuropas, besuchte Dissidenten in der DDR und versorgte diese unbemerkt mit dort schwer zu beschaffender Literatur.
Im Mai 1983 reiste sie mit ihrem Lebensgefährten Gert Bastian und drei weiteren Bundestagsabgeordneten der Grünen nach Ost-Berlin, um dort medienwirksam für Abrüstung in Ost und West zu demonstrieren. Vor der Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz entrollten die Protestler, beobachtet und heimlich fotografiert von Mitarbeitern der Staatssicherheit, die von der Aktion überrascht wurden, ein Transparent mit der Aufschrift „Die Grünen – Schwerter zu Pflugscharen“, wurden aber rasch von Sicherheitskräften verhaftet.


links: Festnahme von Roland Vogt, Alexanderplatz
rechts: Roland Vogt und Petra Kelly (mit dem Rücken zum Bild gewandt), Gert Bastian (rechts) und Lukas Beckmann (links) auf dem Alexanderplatz
Der friedliche Protest bescherte den Grünen bundesweite Schlagzeilen, da es den Beteiligten gelang, durch einen eingeweihten Komplizen Fotos in den Westen zu schmuggeln und der Presse zu übergeben. Doch die Partei zeigte sich wenig begeistert. Man warf den Aktivisten vor, ohne Absprache eigene Ziele verfolgt zu haben und bemängelte die Aktion, als übertrieben sensationsheischend und mediengerecht. Aber auch inhaltlich folgten Auseinandersetzungen. Nach ihrer Freilassung hatte sich Gert Bastian zu den Motiven geäußert: „Wir wollten mit unserer Aktion vermitteln, dass wir es nicht akzeptieren, wenn Friedensbewegungen von beiden deutschen Staaten jeweils nur im anderen Lager bejubelt und unterstützt werden, aber im eigenen Lager diffamiert werden.“ Die Demonstranten hatten die von Petra Kelly kategorisch abgelehnte Doktrin der Nichteinmischung unterlaufen, die besagte, dass sich die Grünen gegenüber der DDR-Regierung Zurückhaltung hinsichtlich Kritik auferlegten, um die Beziehungen zum Nachbarn nicht zu beeinträchtigen. Petra Kelly war hingegen der Ansicht, dass beide deutschen Staaten gleichermaßen zur Abrüstung aufgerufen werden sollten und es dringend geboten sei, diese Forderung auch lautstark zum Ausdruck zu bringen. „Die Gruppe, der ich mich zugehörig fühle, ist die einer weit unabhängigeren authentischen Grünen Partei, die, was grundlegende Themen der Grünen angeht, absolut kompromisslos ist. Meine Position zum Thema Abrüstung ist sehr radikal und wird es immer sein.“
Ein halbes Jahr später empfing Staatsratschef Erich Honecker Petra Kelly, Gert Bastian und weitere Grüne zu einem Gespräch. Grundsätzlich war die Regierung der DDR den Grünen wohlgesonnen, da diese gegen die Stationierung von Pershing II-Raketen aufbegehrten und gar den Austritt der Bundesrepublik aus der NATO forderten. Doch Kelly wollte keinem seichten, inszenierten Treffen beiwohnen, sondern die Gelegenheit nutzen, um unumwunden ihre Ansichten kundzutun. Sie trug bei der Zusammenkunft einen Pullover mit der programmatischen Aufschrift „Schwerter zu Pflugscharen“, forderte die Freilassung aller „Verhafteten der DDR-Friedensbewegung“, fragte Honecker unverhohlen, warum er in der DDR untersage, was er im Westen befürworte, und erinnerte an ihre Festnahme: „Wir haben die Aktion auf dem Alexanderplatz gemacht, um für die Menschen hier einen winzigen Freiraum zu erreichen. Die Realität hier beweist allerdings die Heuchelei ihrer Regierung.“
Noch im selben Monat führte Petra Kelly gemeinsam mit der Abgeordneten Gabriele Gottwald im Bundestag eine weitere Protestaktion durch, bei der sie Bundeskanzler Kohl mitverantwortlich für den Tod des wenige Tage zuvor in Nicaragua ermordeten deutschen Arztes und Entwicklungshelfers Albrecht Pflaum machten. Dieser wurde bei einem Überfall durch die von den USA unterstützten Contra-Guerillas, die die amtierende sozialistische Regierung bekämpften, ermordet. Kelly entrollte mit ihrer Kollegin unmittelbar neben dem Rednerpult, an dem der Bundeskanzler soeben seine Regierungserklärung verlas, ein Transparent mit der Aufschrift: „Herr Kohl! Unterstützung der USA in Nicaragua heißt Mitschuld am Tod Albrecht Pflaums“.
Petra Kellys Interesse für die internationalen Zusammenhänge der Politik und ihr Engagement an der Seite von weltweit unterdrückten Menschen blieb zeit ihres Lebens ungebrochen. Einige Jahre bevor die Grünen in den Bundestag einzogen, fand in der damaligen Bundeshauptstadt die Bundesgartenschau statt, die neben der Präsentation blühender Pflanzen und Innovationen der Gartenbaukunst auch ein Zeichen für Weltoffenheit setzen wollte.
Ich stehe vor einer der damaligen Attraktionen, die als ein Symbol für Völkerverständigung gedeutet werden kann. Tony Hunt (1942-2017) war ein kanadischer Künstler, der den Kwakwaka’wakw, einem Stamm der First Nations, entstammte und für seine geschnitzten Totempfähle bekannt war, von denen er einen 1979 vor den Augen aller interessierten BesucherInnen in den Bonner Rheinauen anfertigte.

Totempfahl, Tony Hunt
Er hatte eine 100 Jahre alte Zeder in seiner Heimat, der kanadischen Provinz British Columbia, fällen und diese nach Deutschland transportieren lassen, um aus dem mächtigen Baumstamm vor Ort einen traditionellen Totempfahl zu schnitzen. Dieser ist nicht mit einem Marterpfahl zu verwechseln. Auch wohnt ihm keine religiöse Bedeutung inne. Er repräsentiert vielmehr die Stellung einer Familie, einer Person oder eines Stammes und erfüllt eine soziale und politische Funktion.

Totempfahl, Tony Hunt
Wenige Schritte weiter betrete ich einen Japanischen Garten, der ebenfalls im Rahmen der Bundesgartenschau eröffnet wurde und Internationalität mit Gartenbaukunst verbindet.
Während mein Blick auf einen mit drei asiatischen Schriftzeichen versehenen Begrüßungsstein fällt, die in wörtlicher Übersetzung verheißungsvoll das „Tor des Nicht-Alterns“ ankündigen, gelange ich durch eben jenes Portal auf das Gelände, wo ich zunächst vor einem aufgeschütteten Hügel stehe, der, um meine Neugierde zu wecken, die Sicht auf den Garten gewollt versperrt. Ich wende mich nach rechts, folge einem gepflasterten Weg, erreiche eine bescheidene, offenbar von Obdachlosen als Rückzugsort genutzte Hütte und gelange über eine Holzbrücke auf eine kleine Insel, von der aus ich erstmals die gesamte Anlage überblicken kann.

Japanischer Garten, Bonn
Der Pfad führt mich über eine weitere Brücke zu einer sechseckigen Holzlaube, von deren Vorplatz aus ich einen kleinen Wasserfall, der sich derzeit leider nicht in Betrieb befindet, den mit Laternen und Pagoden bestückten Uferbereich sowie eine mit weißen Granitsteinen nachempfundene Sandbank betrachte.

Japanischer Garten, Bonn
Der Weg führt einen Hügel hinauf zur Quelle des Wasserfalls, die ich mittels Trittsteinen überquere, wodurch ich einen weiteren hübschen Aussichtspunkt erreiche, bevor ich zurück zum Eingang gelange.

Japanischer Garten, Bonn
Beim Hinaustreten frage ich mich, ob ich in den vergangenen Minuten tatsächlich nicht gealtert bin, wie der Stein am Eingang versprochen hatte. Trotz der friedlichen Atmosphäre und Entspanntheit, die der Garten ausstrahlt, hege ich Zweifel. Um die prophezeite Wirkung zu erleben, hätte ich mir womöglich mehr Zeit nehmen müssen, ähnlich wie die Bewohner der japanischen Insel Okinawa. Das Geheimnis der Inselbewohner, die statistisch weltweit die längste Lebenserwartung haben, besteht angeblich darin, Werte wie Pünktlichkeit, Ordnung und Leistung weniger ernst zu nehmen, weshalb die Festland-Japaner gar von der „Okinawa Time“ sprechen.
Auch wenn sich ihr Arbeitsplatz in Bonn nur einen Kilometer entfernt von dieser Oase der Ruhe befand, hat sich auch Petra Kelly mutmaßlich für einen Spaziergang durch den Japanischen Garten nicht die angemessene Zeit genommen, arbeitete sie doch nahezu rund um die Uhr in ihrem Büro im Tulpenfeld-Hochhaus und ging nur selten vor 3 oder 4 Uhr zu Bett. Es blieb nicht aus, dass die Putzkolonne, die allmorgendlich um 5 Uhr die Büros der Abgeordneten reinigte, sie am Kopierer, Schreibtisch oder Faxgerät vorfand. An solchen Tagen hatte Kelly die Nachtruhe offenbar vollständig versäumt.
Auf den Gefährdetenlisten des Bundeskriminalamts stand sie aufgrund ihrer teils radikalen und streitbaren Positionen weit oben, lehnte Polizeischutz jedoch ab, obwohl sie wiederholt Drohschreiben und anonyme Anrufe erhielt, die mutmaßlich auf das Konto der Europäischen Arbeiterpartei (EAP) gingen. Die EAP, die zwischen 1974 und 1986 in Deutschland auftrat und von zahlreichen BeobachterInnen als rechtsextrem eingestuft wurde, warf den Grünen vor, an einer weltweiten Verschwörung mitzuwirken und sah insbesondere Petra Kelly als Feindbild. Kelly selbst fürchtete, dass sowohl der westdeutsche Verfassungsschutz als auch die ostdeutsche Staatssicherheit sie ins Visier genommen haben könnten.
Ihr Haus im Bonner Stadtteil Tannenbusch ließ sie mit einer Alarmanlage sichern und selbst enge Vertraute erhielten Zutritt ausschließlich, nachdem sie sich zuvor mittels eines verabredeten Klingelzeichens eindeutig zu erkennen gegeben hatten.
Petra Kelly fühlte sich zunehmend bedroht. Ein Gefühl, das auch die beunruhigend und heimtückisch wirkende Plastik des dänischen Bildhauers Jens Galschiot vor der Bonner Bundeskunsthalle auslöst.

„Der innere Schweinehund“, Jens Galschiot
Ich schaue auf die Bronzeskulptur eines stehenden, in einen langen Mantel gehüllten Schweines. Der Titel des Kunstwerks „Der innere Schweinehund“ spielt auf die heutzutage gebräuchliche Allegorie für die menschliche Willensschwäche an, die jedoch in der Vergangenheit eine andere Bedeutung besaß. Der SPD-Politiker Kurt Schumacher machte die Wendung populär, als er den Nationalsozialisten 1932 vorwarf, an den „inneren Schweinehund“ der Menschen zu appellieren, womit er an die niedersten menschlichen Motive dachte. Die Nazis deuteten die Formulierung um, indem sie den „inneren Schweinehund“ zu einer soldatischen Tugend erklärten, bei der es gälte, mangelnde Disziplin erfolgreich zu überwinden.
Galschiot zielt mit seinem Kunstwerk darauf ab, dem Begriff seine ursprüngliche Bedeutung zu verleihen. Ich lese die Inschrift auf dem Sockel der Statur, in der vor dem „Tier mit Instinkten niederster Art“ gesprochen wird und vor dessen Verbreitung, die Intoleranz und Rassismus beflügeln könne, eindringlich gewarnt wird. 1993 ließ der Künstler zwanzig dieser Plastiken zeitgleich in verschiedenen europäischen Städten aufstellen, versehen mit der Mahnung: „Darf nicht gefüttert werden!“

„Der innere Schweinehund“, Jens Galschiot
Petra Kelly begann unter teils massiven Panikattacken zu leiden und entwickelte Verfolgungsängste. Im Verlauf des Jahres 1983 zog Gert Bastian, der nun „offiziell“ als ihr Lebensgefährte auftrat, zu ihr. Der 24 Jahre ältere Mann wurde zu Kellys ständigen Begleiter und Beschützer, da es ihr zunehmend schwerfiel, allein auf Reisen, die ihr Beruf zwangsläufig mit sich brachte, zu gehen.
„Das ist die Krankheit, die ich seit 1983 habe! Genau das ist mein Symptom: die Angst, dass einem keiner hilft! Herzassen, Schweißausbrüche, Kälteschauer, Atemnot, Beklemmungs- und Erstickungsgefühle, plötzliche starke Schwäche und das Gefühl, in Ohnmacht zu fallen“, schrieb sie an eine Freundin. Doch trotz dieser Einsicht schien sie nichts gegen ihren Zustand zu unternehmen. Weder ist bekannt, dass Kelly jemals therapeutische Hilfe in Anspruch genommen hat, noch schien sie etwas an ihrem kräfteraubenden Lebensstil verändern zu wollen oder zu können. Der Eindruck entsteht, dass sie es vorzog, sich mit Hingabe für andere zu engagieren, statt sich der Realität zu stellen und achtsamer mit sich selbst umzugehen.
Heiter und unbeschwert wirken hingegen die oftmals von einer intakten Welt erzählenden Gemälde von August Macke, der viele Jahre seines Lebens in Bonn gelebt hat. Seine Werke sind geprägt von der intensiven Beschäftigung mit der Wirkung von Licht sowie der Verwendung reiner, strahlender Farben. In der Stadt am Rhein hat der Künstler einst das Realgymnasium, wo seine Begabung für das Zeichnen und Malen entdeckt und sein lebhaftes Kunstinteresse geweckt wurde, besucht. Später zog er in ein Wohnhaus in der Bornheimer Straße, in dem heute das Museum „August-Macke-Haus“ beheimatet ist.
Zudem wird seit 2018 an den namhaften Bonner Expressionisten durch ein vom Bildhauer Stephan Balkenhol geschaffenes, im Bonner Hofgarten errichtetes Denkmal erinnert. Ich betrachte den mehr als vier Meter hohen, mit einem farbigen Glasdach versehenen Pavillon, in dem eine überlebensgroße Bronzeskulptur, welche, die Hände auf dem Rücke verschränkt, in aller Ruhe verweilt und in Gedanken versunken, in den farbigen, sich je nach aktuell herrschenden Lichtverhältnissen verändernden Himmel blickt.

Macke-Denkmal, Stephan Balkenhol
Ich verweile längere Zeit lächelnd an dem Denkmal, das mich aufgrund seiner positiven, heiteren Stimmung anspricht. Mir gefällt es, dass der verantwortliche Bildhauer, statt die äußere Gestalt August Mackes detailgenau nachzuempfinden, seine von Licht und Farbe geprägte Kunst in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellt.
Bewusst wurde das Kunstwerk nicht am August-Macke-Haus aufgestellt, sondern am Bonner Hofgarten, wo es zahlreichen Passanten, die in dem an die Universität grenzenden und zentral gelegenen Park spazieren gehen, ins Auge fallen wird.
Als Bonn noch als Bundeshauptstadt fungierte, fanden auf der weitläufigen Rasenfläche zahlreiche Kundgebungen statt. Insbesondere ist die Demonstration der Friedensbewegung, bei der sich 1981 Hunderttausende, um für Frieden und Abrüstung einzutreten, hier versammelten, in Erinnerung geblieben.

Bonner Hofgarten
Auch Petra Kelly sprach neben zahlreichen weiteren prominenten RednerInnen bei der Veranstaltung am 10. Oktober 1981 zu den etwa 300.000 anwesenden Menschen, die gegen die Stationierung von Atomraketen in Westeuropa und den sogenannten NATO-Doppelbeschluss protestierten.
Im Verlaufe der Jahre begannen die Grünen sich zu verwandeln. Die spontanen politischen Aktionen, die Petra Kelly wichtig waren, traten hinter Rituale und Verpflichtungen, die der Parlamentarismus verlangte, zurück. Doch Kelly war nicht gewillt, diesen vorgezeichneten Weg mitzugehen. Als es im Herbst 1983 zu einer Sitzblockade des Militärstützpunktes Mutlangen kam, um vor Ort gegen die geplante Stationierung von nuklearen Pershing II-Raketen zu demonstrieren, an der unter anderem die Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll und Günter Grass, der SPD-Politiker Erhard Eppler und der damalige Saarbrücker Oberbürgermeister Oskar Lafontaine teilnahmen, trug Kelly einen mit Wiesenblumen geschmückten Soldatenhelm und schuf somit ein ikonisches Bild für die Friedensbewegung.
Für ihr unermüdliches Engagement verlieh ihr die 1961 in den USA gegründete Frauenorganisation „Women Strike for Peace“ den Preis „Frau des Jahres 1983“.
Während Petra Kelly im Ausland sehr geachtet war, brachte man ihr in Deutschland weitaus weniger Respekt entgegen. Ganz im Gegensatz zum bekanntesten Sohn der Stadt Bonn, der, wie ich bei meinen Stadtspaziergängen feststellen kann, bis zum heutigen Tag stolz präsentiert wird und ungefragt in jedem zweiten Schaufenster als Miniaturfigur die jeweils angebotene Ware anpreist. 1770 kam der Komponist Ludwig van Beethoven in Bonn zur Welt und ist in der Stadt noch immer omnipräsent.
Sein von Ernst Hähnel entworfenes Denkmal steht als Wahrzeichen der Stadt seit 1845 auf dem Münsterplatz. Auf einem hohen Sockel, der mit sinnbildlichen Darstellungen Beethovens Musik versehen ist, steht der Komponist vor dem ehemaligen Hauptpostamt und blickt eigensinnig auf die Passanten herab, die zu den diversen angrenzenden Kaufhäusern eilen.

Beethoven-Denkmal, Bonn
Geboren wurde Beethoven wahrscheinlich am 16. Dezember im Haus Nr. 515 (heute Haus Nr. 20) in der Bonngasse. Ich stehe während meines Rundgangs durch die Bonner Innenstadt vor der barocken Fassade des um 1770 errichteten Hauses, das bereits seit 130 Jahren ein viel besuchtes Museum beherbergt, in dem mittels zahlreicher Exponate wie Porträts, Notizen, Noten, Musikinstrumenten und Gebrauchsgegenständen Beethovens Leben und Werk den interessierten BesucherInnen nähergebracht werden sollen.

Beethovenhaus, Bonn
Doch mein Blick wandert unwillkürlich zum Nachbarhaus, einem der ältesten noch erhaltenen Gebäude aus dem frühen 18. Jahrhundert, in dem die Patentante Beethovens lebte und möglicherweise die Taufe des kleinen Ludwigs gefeiert wurde. Das Haus beherbergte einst eine Kolonialwarenhandlung. Aus dieser Zeit stammen die fast lebensgroße, stereotype, dunkelhäutige, mit Lendenschurz, Turban und Tabakpfeife ausgestattete Figur sowie die Aufschrift „Im Mohren“ an der Fassade, die meine skeptische Aufmerksamkeit erregt haben. Der von den nordafrikanischen Mauren abgeleitete Begriff „Mohr“ hat aus heutiger Sichtweise einen abwertenden, rassistischen Klang. Der „Verein Beethoven-Haus“, der das Gebäude nutzt, setzt sich kritisch mit der Fassadengestaltung auseinander, lehnt eine Entfernung der Figur sowie der Aufschrift jedoch ab, da diese Artefakte im historischen Kontext zu sehen seien und das Haus zudem unter Denkmalschutz stünde.

„Im Mohren“, Bonn
Für Petra Kelly war der respektvolle Umgang der Menschen untereinander unabhängig von ihrer Herkunft ein wichtiges Anliegen. Zu einer Herzensangelegenheit entwickelte sich für sie die Menschenrechtssituation in Tibet. Bei dem zuvor kaum beachteten Thema hat sie Pionierarbeit geleistet, war sie doch die erste Bundestagsabgeordnete, die die Besetzung Tibets durch China öffentlich thematisierte. Sie warf der Bundesregierung vor, aus Besorgnis den bedeutenden Handelspartner China vor den Kopf zu stoßen, diesen Sachverhalt zu übergehen und intensivierte ihre Kontakte zu chinesischen Regierungsvertretern, zur tibetischen Exilregierung sowie zum Dalai Lama persönlich. Unzählige Schreiben, Reisen und von Kelly initiierte Konferenzen zu diesem Thema belegen ihren zeitaufwendigen Einsatz für das Volk der Tibeter. Durch ihre Anfragen zwang sie den Deutschen Bundestag als erstes westliches Parlament dazu, sich mit dem Sachverhalt auseinanderzusetzen und 1987 gelang es ihr, die Stimmen aller (!) Bundestagsfraktionen für einen Antrag gegen die Menschenrechtsverletzungen in Tibet zu gewinnen.
Wenige Schritte vom Beethovenhaus entfernt erreiche ich den Bonner Markt, wo ich mir an einem kleinen Stand bei einem charmanten Italiener, der mich überschwänglich für meinen Verzicht auf Milch, Zucker und Sirup lobt, einen leckeren Kaffee besorge. Mit dem dampfenden Muntermacher in der Hand betrachte ich den im 11. Jahrhundert entstandenen Platz, in dessen Zentrum sich ein Obelisk befindet, der von historischen Gebäuden, Restaurants und Geschäften umgeben ist.
Dominiert wird der Marktplatz von dem im 18. Jahrhundert im Rokokostil erbauten Rathaus. Das dreistöckige Gebäude mit seiner eindrucksvollen, ausgewogenen Fassade war einst der Sitz der städtischen Verwaltung, bevor diese 1978 in das neu errichtete Stadthaus umgezogen ist. Die repräsentative, vergoldete Freitreppe wurde in der Vergangenheit zur Bühne diverser Staatsgäste wie Charles de Gaulle, John F. Kennedy oder Michail Gorbatschow.

Altes Rathaus, Bonn
Unmittelbar vor dem Gebäude fallen mir Unregelmäßigkeiten im Straßenpflaster auf, die sich bei näherem Hinsehen als stilisierte Bücherrücken entpuppen. Es handelt sich um ein 2013 eingeweihtes Mahnmal, das an den Abend des 10.5.1933 erinnert, als Studenten, Hitlerjungen und SA-Mitglieder Schriften von pazifistischen, linken und jüdischen Autoren hier vor dem Rathaus verbrannten. Ich betrachte die in den Boden eingelassenen bronzenen Bücherrücken und lese einige der sechzig Titel, die damals den Flammen übergeben wurden, wie etwa „In der Strafkolonie“ von Franz Kafka. In der verstörenden Erzählung wird der Verlauf einer minutiös geplanten Folter, die in einer Exekution endet, beschrieben, was als Gleichnis auf eine diktatorische Gewaltherrschaft, bei der Menschenleben rücksichtslos entwertet werden, gelesen werden kann.

Mahnmal, Bonner Marktplatz
Petra Kellys Vorstellungen vom gesellschaftlichen Miteinander, die sie 1985 vor der Generalversammlung der Jugend bei den Vereinten Nationen in New York in einer viel beachteten Rede darlegte, könnten zu derartigen Gewaltexzessen kaum gegensätzlicher sein. „Gewalt hört da auf, wo die Liebe beginnt“, verkündete sie ihren interessierten ZuhörerInnen.
In Deutschland wurden die parteiinternen Querelen für sie zunehmend frustrierender. Sie hatte große Mühe, den Wandel der Grünen zu einer Reformpartei mitzugehen, geschweige denn, dass sie diesen ihr widerstrebenden Prozess anführen konnte. Auch besaß sie weder Ansporn noch Geschick mit den Flügelkämpfen und Seilschaften, die die Partei zu jener Zeit prägten und aus denen sie sich als unabhängig denkende Politikerin herauszuhalten versuchte, umzugehen. „So musste ich feststellen, dass ich als Mitbegründerin der Grünen und während meiner achtjährigen, sehr einsamen Zeit als ökofeministische grüne Abgeordnete im Deutschen Bundestag zu einem einsamen Menschen geworden bin. Ich weigere mich, die taktischen Spielchen mitzumachen, entweder dogmatisch linke Fundi oder pro-sozialdemokratische konservative grüne Realo zu sein.“
Die Grünen waren mit einem bemerkenswerten basisdemokratischen Anspruch in den Bundestag eingezogen und gerieten schon bald in Schwierigkeiten, ihre Ablehnung hierarchischer Strukturen aufrechtzuerhalten und dennoch effektiv zu arbeiten. So wurden die Diäten durch festgelegte Spenden derart begrenzt, dass es für die Abgeordneten problematisch wurde, ihre Ausgaben mithilfe ihrer beruflichen Tätigkeit zu decken.
Durch das beschlossene Rotationsprinzip, demzufolge Delegierte nach der Hälfte der Legislaturperiode ihr Mandat zur Verfügung zu stellen hatten, sollte die Entstehung des von den etablierten Fraktionen bekannte „Parteiestablishments“ verhindert werden. Doch erwies sich dieses wohlgemeinte Verfahren in der Realität als schädlich für die praktische Arbeit, mussten doch diejenigen, die sich soeben in ihre Ressorts eingearbeitet hatten, sogleich wieder abtreten, weshalb sich Kelly weigerte, ihr Mandat zur Verfügung zu stellen und ihr Lebensgefährte Gert Bastian sogleich aus der Fraktion austrat, um seinem Protest gegen „die Diktatur der Inkompetenz“ Ausdruck zu verleihen.
Unfähigkeit duldete Kelly in ihrem Umfeld nicht und sie erwartete von ihren MitarbeiterInnen, dass diese sich an ihrem Arbeitspensum orientierten. Eine von ihnen erinnert sich: „Wir waren alle ein bisschen hysterisch in der Zeit und arbeiteten wie die Wahnsinnigen, 12 bis 16 Stunden waren normal, auch am Wochenende. Petra war sehr anspruchsvoll, sie belegte uns Mitarbeiter ganz mit Beschlag. Sie kannte einfach keine Grenzen. Man hatte ihr und der Sache ganz zur Verfügung zu stehen.“
Die spätere Bundesvorsitzende der Grünen und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Claudia Roth, die in jenen Jahren als Pressesprecherin der Partei fungierte, erinnert sich an Petra Kelly: „Sie war anstrengend und unendlich aktiv. Petra war meist nachts im Büro und hinterließ ihren Mitarbeitern am Telefon, auf dem Schreibtisch, der Tür, den Akten und Büchern einen Wust gelber Klebezettel mit Arbeitsanweisungen.“
Auch Gert Bastian schien schrittweise zu solch einem Mitarbeiter für Petra Kelly zu werden und stand ihr nahezu komplett zur Verfügung. Sie sah sich mittlerweile nicht nur gelähmt, was eigene Reisen betraf, sie ließ es kaum mehr zu, dass ihr Lebensgefährte sich von ihr entfernte, da sie andernfalls unter Panikattacken und Schweißausbrüchen litt. Bastian kümmerte sich aufopferungsvoll um sie. Zu Weihnachten schreibt ihm Petras geliebte Oma: „Meinen ganz herzlichen Dank für alles, was du uns gibst! Was du für Petra tust, ist ganz einmalig. Wenn du nicht wärst, Petra würde gar nicht mehr leben.“
Um mir ein Bild darüber zu verschaffen, wie und wo Petra Kelly gelebt hat, habe ich die Straßenbahn bis zur Haltestelle Tannenbusch genommen, von wo aus ich binnen kurzem die Düne Tannenbusch erreiche. Über schmale Fußpfade durchquere ich eine der seltenen Binnendünen Deutschlands, die aus Rheinsand besteht, der vor etwa 11000 Jahren vom Wind hierhergetragen wurde. Dieser Ursprung ist für mich, da der Boden von Beeren, Gräsern und Brennnesseln überwiegend dicht überwuchert ist, jedoch kaum mehr erkennbar. Das Gebiet diente einst als kurfürstliches Jagdrevier und wurde in den 1950er-Jahren als Baugebiet erschlossen, bevor es 1989 als schützenswerter Lebensraum erkannt wurde. Seitdem stehen die noch verbliebenen sechs Hektar unter Naturschutz und bieten neben seltenen Pflanzen auch Sandbienen und Halsbandsittichen ein Zuhause.

Düne Tannenbusch
Ich befinde mich im Bonner Ortsteil Tannenbusch, wo in den 1930er-Jahren kleine Eigenheime für arbeitslose Handwerksfamilien errichtet wurden und heute gut 17.000 Menschen leben.
Ich spaziere durch die sogenannte HICOG-Siedlung, benannt nach der englischen Bezeichnung „High Commissioner of Germany“, die zu Beginn der 1950er-Jahre für Angehörigen der US-amerikanischen Behörden erbaut wurde. Anschließend erreiche ich ein in den 1970er-Jahren als Reaktion auf die damals herrschende Wohnungsnot am Reißbrett erschaffenes Wohngebiet, in dem Petra Kelly und Gert Bastian ihr Zuhause fanden. Bevor ich deren einstiges Wohnhaus aufsuche, spaziere ich eine Weile durch den Stadtteil, der auf mich einen trostlosen und langweiligen Eindruck hinterlässt. Tannenbusch weist eine hohe Zuwanderer- und Arbeitslosenquote auf und gilt als „sozialer Brennpunkt“ mit sehr negativem Image.

Petra Kelly, 1987 / Public domain
In Deutschland begann sich Petra Kellys Renommee zu wandeln und ihr Stern spürbar zu sinken. Egal ob in der eigenen Partei, bei JournalistInnen oder potenziellen WählerInnen – viele waren genervt von der hektischen, übersteigert idealistisch wirkenden Frau. Kelly schien sich zunehmend auf internationale Politik zu konzentrieren, zumal sie im Ausland ohnehin seit jeher ein größeres Ansehen genoss und bedeutend ernster genommen wurde als in ihrem Heimatland. Die Schicksale der TibeterInnen, der UreinwohnerInnen in den USA, der australischen Aborigines oder der Überlebenden von Hiroshima lagen ihr am Herzen und sie kämpfte für die Rechte all jener nahezu rund um die Uhr, messianisch und zuweilen auch manisch. Für die Grünen war das zu viel globales Handeln und Leid, ein Übermaß an Emotion und Moral. Während Persönlichkeiten wie Otto Schily und Joschka Fischer selbstbewusst nach Höherem strebten, blieb Petra Kelly in der Tages- und Parteipolitik zunehmend außen vor.
Ihr Bundestagsmandat konnte sie dennoch behaupten, als die Grünen bei der Wahl 1987 8,3 % der abgegebenen Stimmen erhielten und ihre Sitze somit auf 44 erhöhen konnten.
Ich habe mittlerweile das einstige Wohnhaus Petra Kellys, bei dem es sich um die schmale, bescheidene und unscheinbare Einheit eines zweistöckigen Reihenhauses handelt, erreicht. Der Eindruck, den ich während meines Spazierganges durch die Umgebung gewonnen habe, scheint sich zu bestätigen. Petra Kelly war es offenbar gleichgültig, wo sie gelebt hat, was auch Schilderungen über ihre ungemütlich wirkende Wohnung bestätigen. Ein beschaulicher Abend in angenehmer Atmosphäre auf der heimischen Couch zählte nicht zu ihren Idealvorstellungen.

Petra Kellys einstiges Wohnhaus
Überall im Haus sollen sich Bücher und Akten gestapelt haben. Eine Trennung von Beruf und Privatleben war kaum erkennbar, zumal Kelly für Tätigkeiten im Haushalt zeitlebens keinen Sinn entwickeln konnte. Gekocht hat sie im Grunde nie, weshalb auch der Herd bald zur Ablagefläche für Briefe umfunktioniert wurde und in den sehr seltenen Fällen, in denen sie Gäste empfing, lud sie diese in ein Restaurant ein. Ihre Ernährung war ohnehin fragwürdig, bevorzugte sie doch Cola und Kuchen als Mahlzeit, wenn sie diese nicht vollständig vergaß.
Dass sich bereits vor zweitausend Jahren Menschen ein behagliches Heim geschaffen haben, kann ich einige Meter unterhalb des Straßenniveaus in der Nähe des Bonner Hofgartens in Augenschein nehmen. Unmittelbar vor der respekteinflößenden Fassade des Collegium Albertinums, dem Theologenkonvikt des Erzbistums Köln, in dem einst Professor Joseph Ratzinger gewohnt hat, führt mich eine schmale Treppe hinab in eine Kammer, in der 1988 entdeckte Artefakte aus der Römerzeit, bei denen es sich vermutlich um Bruchstücke einer Offizierswohnung handelt, zu sehen sind.

Ausgrabungen am Collegium Albertinum
Bonn kann auf eine mehr als 2000-jährige Geschichte zurückblicken und ist damit eine der ältesten Städte Deutschlands. Erstmals schriftlich erwähnt wurde die Siedlung Bonna, aus der sich der heutige Name unmittelbar ableitet, im Jahr 96 n. Chr. Bereits 100 Jahre zuvor wurde an diesem Ort ein erstes Römisches Lager errichtet. Mit dem Ende des römischen Reiches erfuhr die Stadt einen Niedergang, bevor sie sich im 10. Jahrhundert zu einem geistlichen Zentrum entwickelte und im 18. Jahrhundert durch die Kurfürsten barocken Glanz mit entsprechenden Prachtbauten erlangte.
Ich blicke auf das wenig pompöse Haus, in dem Petra Kelly die letzten Jahre ihres Lebens verbracht hat, wenngleich sie ihre Bestimmung kaum im Privaten gesehen haben dürfte. Sie schien für ihre politischen und gesellschaftlichen Ideale zu leben und offenbar konnte diesbezüglich niemand Petra Kelly in ihrem übersteigerten und selbstzerstörerischen Enthusiasmus stoppen. Gert Bastian wandte sich besorgt an seinen Sohn, den Mediziner Till Bastian. Dieser hielt Petra für „seelisch krank“, ein Eindruck, den auch Gert gewann und gemeinsam mit seinem Sohn zu dem Schluss kam, dass eine Therapie vonnöten wäre. Doch stattdessen klammerte sich Kelly fester an ihren Lebensgefährten. „Ein Privatleben hatte ich bisher eigentlich nicht. Gert Bastian, mein Seelengefährte, ist mir sehr nahe. Ohne seine solidarische und liebevolle Unterstützung hätte ich das Engagement der vergangenen Jahre nicht durchgehalten. Ich fühle mich mit Gert in einer Symbiose.“
Im Vorfeld der Bundestagswahl 1990 bemühte sich Petra Kelly erfolglos um eine weitere Legislaturperiode als Abgeordnete im Parlament und strebte eine Kandidatur als Direktkandidatin in Hessen an. Doch unterlag sie der vom Landesverband der Grünen favorisierten Autorin, Regisseurin und einstigen DDR-Bürgerrechtlerin Freya Klier, woraufhin sie sich tief erschüttert aus dem Wahlkampf zurückzog. Dieser verlief wenig erfolgreich, denn die Grünen verpassten bei der Bundestagswahl mit enttäuschenden 4,8 % der Stimmen den sicher geglaubten Wiedereinzug in den Bundestag.
Petra Kelly haderte zunehmend mit den Grünen und fragte sich nach eigener Aussage gelegentlich „was ich noch in dieser Partei zu suchen habe“, nähme diese die Frage der Menschenrechte doch nicht mehr universell ernst, sondern greife das Thema lediglich selektiv auf, wenn es opportun erscheine. „Die Grünen sind nicht mehr das, was ich einmal mit dem Schlagwort „Antiparteien“-Partei gemeint habe. Sie bieten zurzeit ein verworrenes und kaputtes Bild. Im Augenblick fühle ich mich in der Rolle des Zuschauers, der sich über das atemberaubende Tempo wundert, mit dem die Grünen sich zu ihrem Nachteil verändern. Die Sozialdemokratisierung der Grünen schreitet voran. Wenn das so weitergeht, frage ich mich: Wozu denn noch eine grüne Partei?“
„Visionen gehören nicht auf die Regierungsbank“, hatte Joschka Fischer, der im Gegensatz zu Petra Kelly Regierungsbeteiligungen mit den Sozialdemokraten anstrebte, sie zuvor belehrt. Angesprochen auf ihre spürbare Isolation innerhalb der Partei räumte Kelly unumwunden ein: „Es schmerzt mich, ja. Wir waren so kühn, als wir die Grünen vor 10 Jahren gegründet haben. […] Heute ist die Partei keine Hoffnungsträgerin mehr. Die Grünen sind lahm und langweilig geworden. […] Utopien wurden beiseitegedrängt. Jede radikale Idee, die anstößig sein könnte – Austritt aus der NATO, nicht-militärische soziale Verteidigung, ziviler Ungehorsam gegen die krebserzeugende Industrie -, wird inzwischen aus Koalitionstaktik begraben.“
In ihrer letzten Rede im Bundestag mahnte Kelly die Abgeordneten eindringlich, die Schwächsten nicht aus den Augen zu verlieren. „Schweigen ist Verrat an den Leidenden“, rief sie ihnen zu. Wie bereits sieben Jahre zuvor berief sie sich auf Martin Luther King und erntet im Gegensatz zu ihrer ersten Rede im Parlament keinen Hohn, Spott und Sarkasmus, sondern Applaus aus den Fraktionen der Grünen, der SPD, der PDS sowie der FDP. Offenbar hatten Kelly und die Grünen Veränderungen bewirkt.
Mit dem Ende der Legislaturperiode am 20. Dezember 1990 schied Petra Kelly aus dem Bundestag aus. In einem bitteren, quälend langen, offenen Brief schildert sie die „Selbstzerfleischung und fruchtlose, die politischen Aktivitäten lähmende Flügelkämpfe“ ihrer Partei und fordert diese auf, „zu den authentischen grünen Prioritäten in allen Politikbereichen“ zurückzukehren. Sie beschreibt eindrucksvoll, wie sie in den vergangenen Jahren jeden an sich adressierten Brief gewissenhaft beantwortet habe, da sie es für legitim hielt, dass sich BürgerInnen mit ihren Sorgen, Fragen und Anliegen an sie als Abgeordnete im Bundestag wenden und zu Recht eine fundierte Antwort erwarten. Es sei ihr schwergefallen, diesem hohen Anspruch zeitlich und emotional gerecht zu werden. Sieben bis acht Stunden habe sie täglich für die Bearbeitung ihrer Post veranschlagen müssen und mit Bestürzung habe sie die Reaktion ihrer eigenen Parteifreunde registriert, die sie belächelt hätten und nicht nachvollziehen konnten, dass sie nicht vorformulierte Formbriefe verwendet oder derartige Aufgaben an ihre MitarbeiterInnen delegiert habe.
Nach der desaströsen Bundestagswahl 1990 wurde ein unumkehrbarer Abstieg der Grünen unter fachkundigen Beobachtern nicht ausgeschlossen. Das Wahldebakel sowie der angestrebte Zusammenschluss mit dem Bündnis 90 zwangen die Partei zur Überprüfung ihrer politischen Ausrichtung, was zu Parteiaustritten prominenter Vertreter der „Fundis“ wie Jutta Ditfurth, Rainer Trampert oder Thomas Ebermann führte und die Partei umfassend veränderte.
Trotz aller vergangenen Auseinandersetzungen sah Petra Kelly sich in der Lage, diesen schwierigen Prozess zu moderieren und zu leiten, kandidierte auf dem Parteitag 1991 für das Amt der Vorstandssprecherin, kassierte jedoch mit lediglich rund 30 Stimmen der 660 Delegierten eine Demütigung. Obwohl sie weltweit geachtet war und international als die vermutlich prominenteste Vorkämpferin ihrer Partei galt, machte ihr die Basis deutlich, dass es für sie zukünftig keinen Platz mehr in der ersten Reihe der Grünen gab. Ihre Parteikarriere endete desaströs, wohl weil sie sich treu blieb, während die Grünen sich veränderten. Ihr Name stand für grüne Ideale aber fortan nicht mehr für die grüne Partei. Vermisst wurde sie nicht.
Petra Kelly hatte ihr Reihenhaus mittlerweile zu einer Festung, die neben Alarmanlagen von im Garten installierten Lichtschranken gesichert wurde, umbauen lassen. Die Angst schien ihr Leben zunehmend zu beherrschen.
Zu jener Zeit hatte sie einen tibetanischen Liebhaber, was Gert Bastian wusste und akzeptierte. Als dieser ohne irgendeine Erklärung den Kontakt abbrach, stürzte dies Kelly in eine tiefe Krise, was Gert Bastian ihm in einem persönlichen Brief vorwarf. „Ihr psychischer Zusammenbruch ist ja die Folge Deiner totalen Ausgrenzung.“ Sie sei bereit gewesen, eine Therapie zu beginnen und habe auf seinen Rat und seine Hilfe vertraut. „Als beides ausblieb, ist sie innerlich zerbrochen und total abgestürzt.“
Bastian zeigte sich tief besorgt: „Ich weiß nicht, wie lange ich ihr noch helfen kann, denn ich spüre, dass meine Zeit ausläuft, worüber ich nicht klage. Aber Petras Schutzbedürftigkeit macht mir große Sorge; nach dem Absturz in diesem Jahr mehr als je zuvor.“
In der Tat schien die ohnehin körperlich zarte Petra Kelly, während die Schatten unter ihren Augen dunkler wurden, stetig blasser und schmächtiger zu werden. Aber auch der mittlerweile fast 70-jährige Gert Bastian wirkte zunehmend elend und als sei er am Ende seiner Kräfte angelangt. Gegenüber seiner Ehefrau, von der er sich nie scheiden ließ und regelmäßigen Kontakt pflegte, öffnete er sich und äußerte seine Sorge, Petra würde, sollte er eines Tages nicht mehr da sein, vermutlich ihr Bett nicht mehr verlassen und verhungern.
Nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag ergab sich für Petra Kelly bald ein neues Betätigungsfeld, als sie ab Januar 1992 die Umweltsendereihe „Fünf vor Zwölf“ bei Sat.1 moderierte. Im Zwei-Wochen-Rhythmus berichtete sie über Umweltverschmutzung, Tierversuche und die voranschreitende Zerstörung der Natur. Doch die Zusammenarbeit funktioniert nicht und wurde schon bald vonseiten des Senders beendet. Die entnervte Redaktion warf Kelly vor, „chaotisch und undiszipliniert“ zu arbeiten, während Petra Kelly ihren Arbeitgeber der Zensur beschuldigte und ihm unterstellte, sie inhaltlich bewusst eingeengt zu haben. Ob Kellys Vorwürfe berechtigt waren, lässt sich heute kaum mehr beurteilen. Es ist die originäre Aufgabe einer Redaktion, Formulierungen vorzuschlagen und Moderationstexte zu bearbeiten, doch ist freilich nicht auszuschließen, dass der Sender bemüht war, Kellys Texte gezielt zu entschärfen.
Seitdem Petra Kelly nicht mehr die Büroräume und Diäten als Abgeordnete zur Verfügung standen, geriet sie in organisatorische und materielle Schwierigkeiten, um ihre nach wie vor bemerkenswert engagierte außerparlamentarische politische Arbeit fortzusetzen. Vonseiten der Grünen erhielt sie keinerlei Unterstützung. Ihr unermüdlicher Einsatz schien innerhalb der Partei nicht mehr wertgeschätzt zu werden.
Bei aller Enttäuschung blieben für Kelly im Rückblick bedeutende Anliegen, die sie während ihrer Zeit im Parlament erfolgreich verfolgen konnte. „Seit meinem Einzug in den Bundestag 1983 habe ich zum Beispiel um die Mittel gekämpft für ein Modellprojekt zur psychosozialen Betreuung krebskranker Kinder. Ich habe dies drei Jahre lang stur verfolgt. Diese Mittel wurden dann auch 1986 vom Bundestag genehmigt, und bis 1989 standen 14 Millionen DM zur Verfügung. […] Das ist für mich konkrete Politik, die aber in Bonn von der Presse belächelt wird. Ich bin wegen meiner Initiativen zu Kinderkrebs auch damals, 1985, nicht aus dem Bundestag rotiert, obwohl ich wusste, dass dieser Schritt meinen politischen Tod bei den Grünen bedeuten könnte.“
Am 30. September 1992 ging Kelly wie üblich erst gegen 4 Uhr ins Bett und hinterließ dem bereits schlafenden Gert Bastian einige ihrer berüchtigten Merkzettel. „Mein Gertilein …“, war darauf zu lesen, gefolgt von einigen Anweisungen. Er solle Blumen für Kellys Oma besorgen, sich um eine Bahncard kümmern und sie um 10 Uhr wecken. Am folgenden Tag besuchte das Paar die Gedenkstätte Sachsenhausen, betrachtete betroffen die von Neonazis kurz zuvor niedergebrannten Baracken und legte Blumen nieder.
In der Nacht auf den 1. Oktober erreichten die beiden ihr Haus in Bonn und gingen sogleich zu Bett. Petra Kelly legte ihre Kontaktlinsen sowie ihren Schmuck neben die Lektüre „Goethes Briefe an Frau von Stein“ auf den Nachttisch und schlief ein. Gert stand wie gewohnt früh auf, setzte sich an seine Schreibmaschine und begann einen Brief zu schreiben. „Wir müs“, tippte er auf das eingespannte Din-A4-Blatt, brach abrupt ab, erhob sich und ging mit seiner geladenen Deringer in der Hand zu seiner schlafenden Partnerin.
Charlotte Bastian, Gerts Ehefrau, war beunruhigt. Sie hatte ungewöhnlich lange nichts von Gert gehört und konnte ihn seit Tagen telefonisch nicht erreichen. Sie beschloss seine Nachbarn, die einen Schlüssel für das Haus hatten, um sich bei Abwesenheit von Bastian und Kelly um deren Post zu kümmern und bat diese nach dem Rechten zu schauen. Es war der 19. Oktober als sie um 21:30 Uhr das Haus ihrer Nachbarn betraten, wo ihnen sogleich ein unangenehmer Verwesungsgeruch entgegenschlug. Kurz darauf entdeckten sie die Leichen von Gert und Petra, die bereits seit beinahe drei Wochen in der Wohnung lagen.
Gert Bastian hatte offenbar seine Waffe an die Schläfe der schlafenden Petra Kelly gedrückt und geschossen. Sie war augenblicklich tot, während draußen die Alarmanlagen und Lichtschranken sie vor Eindringlingen schützen sollten. Bastian verließ das Schlafzimmer, lehnte sich an die Wand im Flur und richtete die Waffe auf sich.

Kellys einstiges Wohnhaus
So zumindest wurden die Vorgänge, die sich in den Morgenstunden des 1. Oktobers 1992 ereignet haben, von Kriminalisten rekonstruiert. Auch wenn schon bald in entsprechenden Kreisen von einem politisch motivierten Mord geraunt wurde, der je nach bevorzugtem Narrativ der Stasi, Neonazis oder der Atommafia zugerechnet wurde, konnten trotz wiederholter Untersuchungen keinerlei Hinweise entdeckt werden, die auf eine Beteiligung Dritter deuteten.
Petra Kelly wurde 44 Jahre alt und am 26. Oktober auf dem Würzburger Waldfriedhof im Beisein von mehr als 5000 Trauernden neben ihrer verstorbenen Schwester Grace beigesetzt. Sie mochte den inmitten des Würzburger Stadtwaldes gelegenen Friedhof, was mich aufgrund seiner naturnahen Anmutung nicht verwundert. Wann immer Kelly die Gelegenheit hatte, besuchte sie hier das Grab ihrer geliebten Schwester. Angesichts ihres umtriebigen Lebenswandels hat sie an diesem Ort vermutlich die seltenen Augenblicke erleben können, in denen sie beim Blick auf den Grabstein ihrer Schwester, auf dem „Weine nicht, sei nicht traurig, ich schlafe nicht und bin nicht an diesem Ort“ eingraviert war, innehalten und schweigen konnte.
Mittlerweile ist der besagte Grabstein von einem von dem Steinmetz Klaus Görder und dem Bildhauer Helmut Schön aus Bad Salzuflen gefertigtes Grabmal ersetzt worden. Ich trete an das mit Efeu und Gräsern bepflanzte und von mehreren frischen Blumensträußen sowie einem Gesteck mit Sonnenblumen dekorierte Grab heran und blicke auf eine drehbare, mit Motiven aus Petra Kellys Leben gespickte Weltkugel. Sie ist auf einem aufrechten Sockel, auf dem die Lebensdaten von Petra Kelly, ihrer Schwester und seit 2003 auch ihrer Oma Kunigunde sowie Petra Kellys Anspruch „Mit dem Herzen denken“ eingraviert sind, fixiert.


Petra Kellys Grab
Aus der Ferne betrachtet erinnert der Gedenkstein an eine Kerze, die womöglich zu schnell abbrennt. Petra Kellys Leben erschien so atemlos wie ihre Stimme. Obwohl sie äußerlich zerbrechlich wirkte und es innerlich wohl auch war, schreckte sie vor keinerlei Anstrengung oder Auseinandersetzung zurück. Ihr Idealismus schien beständig ungeheure Energien freizusetzen. „Es gibt Augenblicke, wo ich mehr oder weniger zusammenbreche, und Momente, in denen mein Verstand sagt: Stopp, aber mein Herz weitermacht. Ich bin der festen Überzeugung, dass Menschen grundsätzlich gut sein können und sich ändern werden, wenn sie alle wichtigen Informationen erhalten und in eine Lage versetzt werden, die es ihnen erlaubt, Widerstand zu leisten. Ich war außerdem immer davon überzeugt, dass man sich niemals von seinem Ziel ablenken lassen kann, das man wirklich erreichen will. Man muss immer weitergehen. Man muss seinen Weg zu Ende gehen.“
Doch was hatte Petra Kellys Lebensweg sein jähes Ende gesetzt? Handelte es sich um den „gemeinschaftlichen Selbstmord“ des Paares, wie es zunächst von den Grünen kolportiert wurde? Nach dieser Theorie habe Petra Kelly ihren Partner unumwunden oder andeutungsweise um den Gnadenschuss gebeten. Womöglich war aber auch lediglich Gert Bastian des Lebens überdrüssig und er erschoss Petra Kelly, da er ihr nicht zutraute oder zumuten wollte, ihr Leben ohne ihn an der Seite zu bewältigen, was Petra Kelly in der Tat mehrfach geäußert haben soll. „Ich glaube an keinen Selbstmord. Sie wären nicht freiwillig von uns gegangen, ohne es uns zu erklären. Es geschah etwas Schreckliches, Grausames, vielleicht wird es einmal aufgeklärt.“ Mit diesen Worten verabschiedete der russische Intellektuelle Lew Kopelew seine beiden Freunde auf der Trauerfeier in der Bonner Beethovenhalle, die von den Grünen für ihre verstorbenen Parteimitglieder ausgerichtet worden war. Auf der Bühne wurden zwei überdimensionale, mit Blumen geschmückte Porträts aufgestellt. Es herrschte eine feierliche Atmosphäre und während der Musiker Konstantin Wecker sein Lied „Ich habe Angst“ Kelly und Bastian widmete, weigerte sich die eingeladene politisch engagierte Folk-Sängerin Joan Baez „für einen Mörder und sein Opfer zu singen“.
Gegen die Selbstmordtheorie spricht die Tatsache, dass die mitteilsame Petra Kelly keinen Abschiedsbrief, keine Botschaft hinterlassen hat. Zudem steckte sie in den Planungen für ein Buch, ein Filmprojekt über Tibet sowie eine Gastprofessur in den USA.
Die Staatsanwaltschaft ging zum Abschluss ihrer Ermittlungen von einem „erweiterten Suizid“ aus. Demnach habe Bastian seine Lebensgefährtin aus Liebe getötet, weil er annahm, sie könne ohne ihn nicht leben. Die bekannte Journalistin Alice Schwarzer zweifelte diese These vehement an und behauptete: „Man mordet nicht aus Liebe, sondern aus Hass.“ Doch ist das menschliche Verhalten derart eindimensional zu deuten? Bereits wenige Wochen nach ihrer ersten Einschätzung distanzierte sich die Staatsanwaltschaft von ihrer gewagten These und stellte klar, dass zwar der Tathergang recht gut nachvollzogen werden könne, dies jedoch nicht für die Motive der Beteiligten gelte. Was sich zwischen Petra Kelly und Gert Bastian abgespielt hat, wird demnach wohl für immer ein Geheimnis bleiben.
Auf der von den Grünen ausgerichteten Trauerfeier erinnerte die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley an den Bruch zwischen Petra Kelly und der Partei, sprach von „Nicht-Achtung“ und „Demütigungen“. Joschka Fischer räumte im Rückblick ein: „Petra und ich waren uns immer sehr fremd geblieben und haben uns gegenseitig wenig verstanden.“ Doch fragte er sich auch treffend, „warum wir es als Partei nicht geschafft haben, Petra und manch anderem einen Platz zu schaffen, von dem aus sie ihre große und zugleich schwierige Persönlichkeit voll für ihre Sache und damit auch für die grüne Partei hätten einsetzen können.“ Mit dieser Frage hätten sich die Grünen in der Tat lohnend auseinandersetzen sollen. Warum hatten sie ihr Gründungsmitglied, ihre einst prominenteste Wegbereiterin, gewinnende Rednerin, kompetente Fachpolitikerin, international angesehene Aktivistin und idealistische Kämpferin derart bedenkenlos fallengelassen und regelrecht verstoßen?
Der Name ihrer verstorbenen Mitstreiterin sollte laut der bayerischen Grünen nicht in Vergessenheit geraten, weshalb diese 1997 die Petra-Kelly-Stiftung, ein der Partei nahestehendes Bildungswerk für Demokratie und Ökologie gründeten, mit dem Ziel „die Ideen und die politische Botschaft Petra Kellys auch nach ihrem tragischen Tod weiterleben zu lassen“.
2006 wurde in Bonn im ehemaligen Regierungsviertel ein Teilstück der Franz-Josef-Strauß-Allee in Petra-Kelly-Allee umbenannt und auch in München, Köln und Erlangen wurden Straßen nach der verstorbenen Politikerin benannt. Doch darüber hinaus scheint der Name Petra Kelly in der politischen Landschaft und bei den Grünen weitestgehend aus der Erinnerung getilgt zu sein.
Womöglich erschien sie der Partei, die entgegen Petra Kellys Plänen mittlerweile mit kompromissbereiter Selbstverständlichkeit Regierungsbeteiligungen anstrebt, in der Rückschau zu radikal und halsstarrig. Nicht selten hat sie sich und ihr Umfeld mit ihrem anstrengenden Idealismus überfordert. Sie war eine ambivalente Persönlichkeit – voller Energie und dennoch erschöpft, mutig für ihre Ziele eintretend und voller Ängste. Sie glaubte an die Kraft der Gemeinschaft und war gleichwohl eine Einzelgängerin, die scheinbar alles reflektiert hat – ausgenommen sich selbst.
Eine von Petra Kellys Visionen wurde 1995 Wirklichkeit, als in der Universitätsklinik Heidelberg der erste „Kinderplanet“ eingeweiht wurde, eine psychosoziale Abteilung, in der schwer erkrankte Kinder gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern eine kindgemäße Umgebung und Betreuung erhalten. Diese Idee erträumte einst die neunjährige Grace P. Kelly, die 1970 mit zehneinhalb Jahren in Heidelberg an Krebs verstorbene Schwester von Petra Kelly. Sie war an einem bösartigen Tumor erkrankt, lag oft traurig und einsam in ihrem Krankenhausbett und phantasierte sich auf einen fröhlichen „Kinderplaneten“, wo kranke Kinder spielen, singen und tanzen konnten und Erwachsene ihnen ausreichen Zeit widmeten. Petra engagierte sich bis zu ihrem Tod unermüdlich für krebskranke Kinder, entwickelte die Vorstellung ihrer Schwester zu einem ganzheitlichen Konzept und kämpfte, auch wenn sie es selbst nicht mehr erleben durfte, letztlich erfolgreich für die Realisierung des Traums vom Kinderplaneten, von denen dank zahlreicher SpenderInnen und ehrenamtlicher HelferInnen mittlerweile neun in ganz Deutschland verwirklicht werden konnten.
Ungeachtet ihrer komplizierten, fordernden Persönlichkeit hat Petra Kelly zeitlebens kühn und unerschrocken für eine bessere Welt gekämpft. Ihr Idealismus trieb sie trotz zerbrechlicher Flügel hoch hinaus in Regionen, in denen Unverständnis und Einsamkeit herrschten. Als Studentin hat Petra Kelly in einem Gedicht ersehnt: „Aber noch hoffe ich jemanden zu finden, der bereit ist, mit mir auf der Suche nach dem Himmel aufzusteigen.“