Unterwegs… in Wien (Zentralfriedhof)

Hedy Lamarr – Teil 3: Absturz einer Filmdiva
„Ich glaube, manchmal spiele ich im Leben mehr als auf der Leinwand.“
(Hedy Lamarr)

Hedy Lamarr, 1972
Eine Frau mittleren Alters liegt, umringt von mit scharfkantigen Skalpellen ausgestatteten Chirurgen, auf dem OP-Tisch und ersucht die behandelten Ärzte, sie „schönzumachen“. Die Anfangsszene des tragisch-komischen und sarkastischen Films von Pop Art-Künstler Andy Warhol, der einen gnadenlosen Blick auf Schönheitswahn, Starkult und die Sucht nach Anerkennung wirft, eröffnet die Erzählung um eine schlecht gealterte, „I feel pretty“ singenden Frau, die im weiteren Verlauf der Handlung, ohne dies selbst wahrzunehmen, ein tragisches Schicksal erleidet. Der Film erzählt die Geschichte von Hedy Lamarr und kommt der Hollywooddiva weitaus näher als manche vorgeblich akribische Dokumentation.

Linie 71, Wien
Ich sitze in der spärlich frequentierten rot-weißen Straßenbahn der Linie 71, die häufig im Zusammenhang mit meinem Fahrziel, dem Wiener Zentralfriedhof, genannt wird. „Der 71er“ hat Eingang gefunden in zahlreiche Wiener Geschichten, Anekdoten und Lieder und versinnbildlicht vielfach den letzten Weg eines Wieners. So hat ein Verstorbener umgangssprachlich „den 71er genommen“.
Im Widerspruch zu seinem Namen liegt der Zentralfriedhof am südöstlichen Stadtrand, sodass erst nach mehr als 30 Minuten Fahrtzeit die vermehrt die Straße säumenden Steinmetzbetriebe und Gärtnereien meine baldige Ankunft ankündigen.
Die Fahrt habe ich genutzt, um über den Schweizer Jazzmusiker Teddy Stauffer zu lesen, den Hedy 1951 heiratete. Er war ein vermögender Mann, was für Hedy ein nicht unerhebliches Auswahlkriterium darstellte. Als einer der ersten hatte er die Vermarktungsmöglichkeiten der wagemutigen Klippenspringer von Acapulco erkannt, vor Ort eine Diskothek eröffnet, mehrerer Hotels betrieben, vielerlei Prominenz wie Frank Sinatra, John Wayne und Rita Hayworth nach Acapulco gelockt und somit aus dem einstigen verschlafenen Fischerdorf eine internationale Jetset-Oase geschaffen. Gemeinsam mit ihren Kindern zog Hedy an den florierenden Küstenort, wovon sich Teddy einen Werbeeffekt, indem seine Gattin für Glamour sorgt und mit ihrer puren Anwesenheit Gäste anlockt, erhoffte. Doch Hedy fühlte sich schon bald gelangweilt und unterfordert, beendete die Beziehung bereits nach einem halben Jahr, reichte die Scheidung ein und zog zurück nach Los Angeles.
Dort inszenierte sie für die Kameras wie gewohnt ein vollkommenes und heiles Familienleben, doch Hedys Sohn Anthony räumte viele Jahre später ein, er und seine Schwester hätten sich zuweilen „wie Waisenkinder, die in Internate und Sommerzeltlager abgeschoben wurden“, gefühlt. Ihre Mutter sei stetig launischer geworden und ihre Stimmung habe unvorhersehbar zwischen extremer Überdrehtheit und völliger Niedergeschlagenheit geschwankt. Anthony erinnert sich regelrecht Angst vor seiner Mutter gehabt zu haben.
Hedy war sich darüber im Klaren, dass ihre Filmkarriere auf einen unabwendbaren Wendepunkt zusteuerte. Sie war fast vierzig Jahre alt, ihr vermeintliches Kapital – die makellose Schönheit – schwand und mit Marilyn Monroe schien ein neues – platinblondes, vollbusiges und argloses – Frauenbild in Mode zu kommen.
Ich habe mittlerweile den 1874 eröffneten Wiener Zentralfriedhof erreicht, der mit einer Fläche von fast zweieinhalb Quadratkilometern zu den größten Friedhofsanlagen Europas zählt und hinsichtlich seiner Ausdehnung lediglich vom Friedhof Ohlsdorf in Hamburg und Brookwood Cemetery nahe London übertroffen wird.
Ich spaziere zunächst die asphaltierte Hauptallee, die zum Zentrum des Geländes, der Anfang des 20. Jahrhunderts im Jugendstil errichteten Friedhofskirche zum heiligen Karl Borromäus, führt, entlang.

Hauptallee Richtung Friedhofskirche zum heiligen Karl Borromäus
Als im 19. Jahrhundert die Einwohnerzahl Wiens beständig stieg, war erkennbar, dass die bestehenden Friedhöfe an die Grenzen ihrer Auslastungskapazitäten stoßen würden, weshalb die Errichtung eines Zentralfriedhofs mit einer Aufnahmekapazität, die bestenfalls niemals ihre Grenzen erreichen sollte, beschlossen wurde.

Mit etwa drei Millionen Beigesetzten „beherbergt“ der Zentralfriedhof erheblich mehr Wienerinnen und Wiener, als die heutige Stadt Einwohner zählt und ist fester Bestandteil des Images und der Reputation der Stadt. Auch manchem Künstler und Kulturschaffenden ist es gelungen, sich in das kollektive Gedächtnis der Stadt einzubrennen. Hedy ist dieses trotz ihrer beeindruckenden Hollywoodkarriere womöglich aufgrund ihres weiteren Werdegangs nicht vergönnt gewesen.
Wenngleich Hedys Filme der 1950er Jahre zumeist katastrophal waren und nicht selten in Listen der „schlechtesten Filme aller Zeiten“ auftauchen, hatte sie finanziell ausgesorgt und es gelang ihr nach wie vor lukrative Werbeverträge abzuschließen. Doch sie wollte sich nicht auf den errungenen Lorbeeren ausruhen, sondern weiterhin eigene Ideen realisieren. Ihr schwebte ein Episodenfilm über drei historische Frauenfiguren – Helena, die Tochter des Zeus, Kaiserin Josephine, die Ehefrau Napoleons sowie die Sagengestalt Genoveva von Brabant – vor. Sie wollte alle drei zentralen Figuren verkörpern und den Film erstmals selbst produzieren.
Die Dreharbeiten fanden in Europa, wo sich Hedy schon bald mit sämtlichen an den Filmarbeiten Beteiligten zerstritt, statt. Das Resultat gilt als der Tiefpunkt ihrer Karriere. Der Film wirkte amateurhaft, erhielt vernichtende Kritiken und entwickelte sich zu einem finanziellen sowie künstlerischen Desaster. Es schien, als sei Hedy ihr Vorhaben zwar enthusiastisch und ambitioniert angegangen, habe aber die zahlreichen Details nicht zu Ende gedacht. Sie wirkte überfordert mit den diversen Schwierigkeiten, die sich im Verlaufe eines solchen Projektes zwangsläufig einstellen. Doch Hedy war keineswegs entmutigt, betonte, ihr hätte zu wenig Geld zur Verfügung gestanden, um einen guten Film zu produzieren und plante alsbald einen neuerlichen Versuch zu unternehmen.

Hedy Lamarr bei ihrer Ankunft in Paris, 1955
(Photo by Hulton Archive/Getty Images)
Zur rechten Zeit lernte sie den schwerreichen texanischen Ölindustriellen Howard Lee kennen, heiratete ihn, zog nach Texas und erhielt von ihm 400.000 Dollar Vorschuss für den geplanten Film.

Hedy Lamarr mit ihrem fünften Ehemann W. Howard Lee in Venedig (Photo by Keystone/Hulton Archive/Getty Images)
Für die Dreharbeten reiste Hedy erneut nach Europa, besuchte zum ersten Mal seit ihrer Flucht ihre Heimatstadt Wien, wo sie ihrem frischgebackenen Ehemann die Orte ihrer Kindheit präsentierte. Das Paar besuchte die einst von Hedys Vater geleitet Bank, die Votivkirche, den Prater und den Ruderverein Austria im Kuchelauer Hafen, in dem Hedy als Jugendliche Mitglied war. In einem Interview mit dem ORF erwähnte sie ihren Wunsch, einen Film in Wien zu drehen. „Darin sollen all die schönen Dinge vorkommen, die ich als Kind gesehen habe. Die Oper, die Spanische Reitschule, Schönbrunn…“

Hedy Lamarr mit Ehemann in Wien
Auf eine Stippvisite auf den Wiener Zentralfriedhof hat Hedy während ihres Aufenthalts in der Hauptstadt vermutlich verzichtet, lässt die Tatsache, dass sie den Besuch von Beerdigungen zeit ihres Lebens ablehnte, doch bereits erahnen, dass sie wenig Gefallen an solch einem Ort der Erinnerung finden konnte. Ich hingegen mag Friedhöfe, da sie auf mich weniger fantasiebefreit wirken als manche Innenstadt und der Wiener Zentralfriedhof erscheint mir nach kurzer Verweildauer, während der ich bereits einige imposante, aufwendig aus Granit und Marmor gefertigte Grabmäler passiert habe, sehr vielversprechend.

Mein Blick fällt auf ein spektakuläres, mit Wappen, Reliefs und Mosaikdekor ausgestaltetes Grab mit einem von einem Arkadendach überwölbten Sarkophag, der auf einem hoch aufragenden Sockel ruht. Die Inschrift auf dem Sockel verrät mir, dass hier der österreichische Ingenieur Carl Ritter von Ghega (1802 – 1860) beigesetzt wurde, der vielen Österreichern vom letzten noch gültigen 20-Schilling Geldschein, den sein Antlitz zierte, geläufig sein dürfte.

Grab von Carl Ritter von Ghega
Der geniale Techniker realisierte mit der Semmeringbahn, dem heutigen Weltkulturerbe, die erste Zugverbindung von Wien nach Italien. Viele Monate ist der Ingenieur zuvor durch die Berglandschaft gewandert, um sich mit den topografischen Bedingungen vertraut zu machen. Die Bahnstrecke, die erste Hochgebirgsbahn der Welt, musste über Täler hinweg, durch Berge hindurch und an Felswänden entlang gebaut werden, wozu 15 Tunnel, zum Teil zweistöckige Viadukte und bis zu 20.000 Arbeiter nötig waren.

Viadukt über die Kalte Rinne der Semmeringbahn, ca. 1900
Von Touristen weitaus häufiger besucht wird das vorgebliche Grab von Wolfgang Amadeus Mozart, bei dem es sich wahrheitsgemäß lediglich um ein Denkmal handelt, denn der Komponist wurde einst auf dem gut 5 km entfernten Sankt Marxer Friedhof in einem schmucklosen Grab ohne Kennzeichnung, Kreuz oder Grabstein beigesetzt, weshalb die exakte Lage seiner Ruhestätte nicht bestimmbar ist und als das Musikgenie viele Jahrzehnte später angemessenen bestattet werden sollte, sein Leichnam nicht mehr auffindbar war.

Wolfgang Amadeus Mozart – Denkmal
Ein derartiges, ihr gewidmetes Denkmal hätte Hedy Lamarr womöglich auch zugesagt, wurde sie doch zunehmend divenhafter, erwartete von ihrer Umgebung auf Händen getragen zu werden, gab Unsummen aus, gestaltete die texanische Villa ihres Ehemannes grundlegend um und schwelgte im Luxus, während sie bei ihrem Filmprojekt alsbald erneut den Überblick verlor. Das von ihrem Ehemann investierte Geld verschwand im Nirgendwo, bis dieser ihr den Geldhahn zudrehte, um schlimmeres zu verhindern.

Hedy Lamarr mit Tochter Denise und Sohn Anthony, 1958. (Photo by KEYSTONE-FRANCE/Gamma-Rapho via Getty Images)
Der geplante Film sah nie eine Kinoleinwand und mit dem Scheitern des ambitionierten Projektes endete auch Hedys fünfte Ehe, der schon bald die sechste folgte, da sie kurz entschlossen ihren Scheidungsanwalt ehelichte.
Wenn auch kein Denkmal, aber eine bedeutende Würdigung erhielt Hedy 1960, als sie mit einem Stern auf dem Hollywood Walk of Fame geehrt wurde, was in der Rückschau zugleich den Abschluss ihrer Hollywoodkarriere markierte.

Am 28. Januar 1966 trat Hedy erneut in das Bewusstsein der Öffentlichkeit, als die New York Times mit der Schlagzeile „Hedy Lamarr wegen Ladendiebstahls hinter Gittern“ aufmachte.
Am Vorabend war sie in einem Drugstore von einer Ladendetektivin auf frischer Tat ertappt und in ein Frauengefängnis befördert worden, aus dem sie fünf Stunden später gegen eine Kaution von 550 Dollar auf freien Fuß gesetzt wurde. Hedy hatte ein Damenkostüm, einen Stift, eine billige Halskette, ein wenig Make-up, ein Herrenparfüm, Unterhosen sowie eine Grußkarte im Gesamtwert von 86 Dollar gestohlen.
Bereits zwei Tage zuvor hatte sie ein Verkehrspolizist angehalten, der aufgrund ihres eigentümlichen Fahrstils Alkoholeinfluss vermutete, wobei sie mutmaßlich vielmehr aufgrund von Psychopharmaka in ihrem Bewusstsein beeinträchtigt war.
Während des Gerichtsverfahrens wegen Ladendiebstahls, das von einem erheblichen Medieninteresse begleitet wurde, verfolgte die Verteidigung die Strategie, Hedy als verwirrte, für ihre Taten nur bedingt verantwortliche Frau darzustellen, was recht mühelos gelang, da sie auf die Prozessbeobachter fürwahr konfus wirkte.

Hedy Lamarr vor Gericht
Die Anklage wurde schließlich wegen Geringfügigkeit fallengelassen, woraufhin Hedy den Geschäftsinhaber absurderweise und vergeblich aufgrund falscher Anschuldigungen auf 5 Millionen Dollar Schadenersatz verklagte.
Es schien sich bei dieser Begebenheit nicht um Hedys ersten Ladendiebstahl gehandelt zu haben, denn nicht nur stand sie in dem betreffenden Kaufhaus bereits unter Verdacht und Beobachtung, auch ihr Sohn erinnert sich an ein Geschehnis mit seiner Mutter in einem Drugstore. Dort habe sie sich eine Zahnbürste und Zahnpasta gegriffen und sei unbekümmert aus dem Laden spaziert. Als er später seine Mutter auf die Angelegenheit angesprochen habe, habe diese lapidar entgegnet: „Oh mein Sohn… die Welt schuldet mir so viel.“ Hedy fühlte sich nicht als Diebin, sondern betrachtete ihr Tun als angemessen.
Der prunkvolle Trauerzug mit berittenen Standartenträgern, Laternenreitern, Blumenwagen und dem von Windlichtern umgebenen gläsernen Sarg hätte Hedy möglicherweise gefallen. Doch der Staatsakt galt nicht ihr, sondern dem bedeutenden Komponisten Johannes Brahms (1833-1897), der zu Lebzeiten einen unprätentiösen und einfachen Lebensstil bevorzugte.

Grab von Johannes Brahms
Ich stehe vor seinem Ehrengrab, das sich in unmittelbarer Nähe zu jenem von Ludwig van Beethoven (ca. 1770 – 1827) befindet. Der bis heute zu den meistgespielten Komponisten der Welt zählende gebürtige Rheinländer ist seinem Anspruch, ein bleibendes musikalisches Werk für die Nachwelt zu hinterlassen, zweifellos gerecht geworden. Seine ungebrochene Popularität offenbart sich bereits anhand des umfänglichen Blumenschmucks rund um sein Grab. Beethovens Beisetzung fand unter großer Anteilnahme der Wiener Bevölkerung auf dem Währinger Ortsfriedhof statt, bevor sein Leichnam 1888 in den Ehrenhain auf dem Wiener Zentralfriedhof umgebettet wurde.

Grab von Ludwig van Beethoven
Als einer von sechsunddreißig Fackelträgern erwies ihm Franz Schubert (1797 – 1828) die letzte Ehre und als dieser mit lediglich 31 Jahren ein Jahr nach Beethoven verstarb, wurde er ebenso auf dem Währinger Friedhof begraben. Während zu seinen Lebzeiten die Zahl seiner Bewunderer überschaubar blieb, ist Schuberts Rang als herausragender Vertreter der frühen Romantik heute unbestritten, weshalb er ebenfalls auf den Wiener Zentralfriedhof umgebettet wurde und neben Beethoven seine letzte Ruhestätte gefunden hat.

Grab von Franz Schubert
Auch bis zum Grab des „Walzerkönigs“ und Komponisten der inoffiziellen österreichischen Nationalhymne „An der schönen blauen Donau“ ist es nicht weit. Der pompöse Grabstein von Johann Strauss (1825 – 1899) stellt einen Felsen dar, auf dem neben einem Porträtrelief des Musikers eine zur Landung ansetzende Fledermaus sowie das Donauweibchen, eine menschenfreundliche Nixe in der Wiener Sagenwelt, dargestellt sind. Die Figuren symbolisieren die beiden populärsten Schöpfungen des Komponisten – den Donauwalzer und die Operette „Die Fledermaus“.

Grab von Johann Strauss
Unweit liegt sein Vater (1804 – 1849), der Komponist des 1848 uraufgeführten „Radetzky-Marsch“, mit dem traditionell das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker schließt, begraben.

Grab von Johann Strauss Vater
Das alljährliche am 1. Januar im großen Saal des Wiener Musikvereins stattfindende Konzert, das sie soweit möglich im Radio oder Fernsehen verfolgte, begeisterte Hedy bis ins hohe Alter. Ihre Liebe zu Wien und die Erinnerungen an ihre unbeschwerte Kindheit in der Stadt erloschen nie, obwohl sie offenbar wenig Verlangen empfand, ihre Heimat gelegentlich zu besuchen. In ihrer Wahlheimat USA war ihr Ansehen zum Zeitpunkt des eingangs erwähnten Erscheinens des Warholfilms erheblich gesunken. Sie war wegen Ladendiebstahls verhaftet worden, gab wirre Interviews, die an ihrem Geisteszustand ernsthafte Zweifeln aufkommen ließen und die ersten von Schönheits-OPs, die in den 1960-er Jahren gesellschaftlich weitaus weniger akzeptiert waren als heute, hinterlassenen Spuren waren unübersehbar. Hedy wurde zunehmend zur Lachnummer in Talkshows und Gazetten.

Hedy Lamarr in der “Dick Cavett Show”, 1969
(Photo by Walt Disney Television via Getty Images Photo Archives/Walt Disney Television via Getty Images)
Die Tragik ihres glamourösen Lebens wurde sicht- und spürbar. Diese intelligente, selbstbewusste und zielstrebige Frau schien abseits der gängigen Geschlechterklischees keine zeit- und altersgemäße Rolle für sich zu finden, die es ihr ermöglichte, ein wahrhaftiges Leben führen zu können und wähnt daher: „Ich glaube, manchmal spiele ich im Leben mehr als auf der Leinwand.“
Statt auf der Leinwand war Hedy in jenen Jahren vorrangig in voll besetzten Gerichtssälen zu finden. Sie verklagte alles und jeden und gab horrende Summen für Anwälte aus, wohingegen ihre oftmals absurden Forderungen nach Schmerzensgeld kaum auf Erfolg stießen. Bemerkenswerterweise hat sie Andy Warhol für sein filmisches Machwerk nicht verklagt. Möglicherweise konnte sie seiner Ironie folgen und hat nicht nur den schonungslosen Blick, den er auf sie freilegte, erfasst, sondern auch die zärtliche Zuneigung gespürt, die sich unterschwellig durch den Film zog. Generell dürfte sie an Warhol und seinem ihn umgebenden Stab aufgrund des Einreißens von Gendergrenzen und der Lebensführung als augenzwinkernde Kunstfigur Gefallen gefunden haben.
Ihr beruflicher Tiefpunkt sollte mit dem Erscheinen der mit „Ekstase und ich“ betitelten Biografie jedoch erst noch folgen. Zwar erwies sich das Buch als Verkaufsschlager, doch zerstörte es zugleich Hedys ohnehin ramponiertes Image unumkehrbar. Es wird niemals endgültig zu klären sein, welche Textpassagen von Hedy selbst stammen und welche der beauftragte Ghostwriter selbst erdacht oder effekthaschend ausgeschmückt hat. Das Buch enthält detaillierte Schilderungen ihres Sexuallebens und beschreibt eingehend Sex mit mehreren Männern, mit Männern und Frauen, im Freien, in Umkleidekabinen, mit Fesseln und vieles mehr, was im prüden Amerika zutiefst schockierte, Hedy im konservativen Hollywood untragbar machte und ihre Filmkarriere somit ihr unwiederbringliches Ende fand.
Hedy ließ viele ihrer Habseligkeiten versteigern, verließ 1967 die Filmmetropole und zog nach New York City, wo sie völlig zurückgezogen lebte und unmerklich aus dem öffentlichen Bewusstsein entschwand. Während die Diven Marlene Dietrich und Greta Garbo den gleichen Schritt wählten, um ihren Mythos zu bewahren, war dieser in Hedys Fall bereits derart zerstört, dass diesbezüglich nicht mehr viel Schützenswertes blieb.
In New York verließ sie kaum noch ihre Wohnung, behielt die Vorhänge auch tagsüber zugezogen und wurde laut der Aussage ihres Sohnes „zunehmend paranoid.“ Laut der wenigen Menschen, denen sie noch Zugang gewährte, drohte Hedy in ihrer Wohnung zu verslumen. Ihre Tochter bemühte sich, zumindest telefonisch Kontakt zu ihr zu halten und musste erlebten, dass die Aussagen ihrer Mutter zunehmend wunderlicher wurden. Sie habe aus Hollywood verschwinden müssen, denn „sie seien hinter ihr her gewesen“ und selbst Sektenführer Charles Manson sei in diese groß angelegte Verschwörung gegen sie involviert gewesen.
Hedy war bewusst, dass ihre Karriere zu Ende war. Sie versank in Selbstmitleid, bemühte sich vergeblich, durch OPs ihr attraktives Äußeres zu erhalten und ihre Stimmung durch die Einnahme von Medikamenten zu beeinflussen. Diese erhielt sie von dem deutsch-US-amerikanischen Arzt Max Jacobson (1900 – 1979), der nach seiner Flucht vor den Nationalsozialisten eine Praxis in New York betrieb, bald als „Wunderdoktor“ galt und von seinen Klienten den verheißungsvollen Spitznamen „Dr. Feelgood“ erhielt. Jacobson verabreichte zahlreichen prominenten Kunden Amphetamine und experimentierte mit Injektionskuren, die aus Vitaminen, Hormonen, Knochenmark, tierischen Zellen und Aufputschmitteln bestanden. Auf seine Behandlung schworen neben Hedy Lamarr auch ihre Schauspielkolleginnen Marlene Dietrich, Marilyn Monroe, Elizabeth Taylor und Judy Garland sowie Präsident John F. Kennedy, die Schriftsteller Truman Capote, Tennessee Williams und Henry Miller, Regisseur Billy Wilder sowie die Sängerin Maria Callas. Da seine wohltuenden Injektionen nicht nur euphorisch und hochproduktiv, sondern in vielen Fällen auch hochgradig abhängig machten, verlor Jacobson 1975 seine Zulassung als Mediziner.
Ihren nach wie vor hohen Lebensstandard finanzierte Hedy mittels ihres erworbenen Vermögens sowie diverser Schadensersatzprozesse, die sie regelmäßig mit überschaubarem Erfolg führte. Den Hang zum Luxus teilte sie mit dem Schauspieler Curd Jürgens (1915-1982), dessen Grab ich soeben entdeckt habe. Er legte großen Wert darauf, dass jeder seiner diversen Wohnsitze mit ausreichend Personal ausgestattet war und unterhielt einen stattlichen Wagenpark, zu dem ein Haflinger, ein Bentley „zum Angeben“, zwei Mercedes, ein Austin als „Einkaufsnetz“, ein Porsche für Sportfahrten, ein Landrover für Gäste und ein Rolls-Royce als Begründung für die Höhe seiner Gagen zählten.

Grab von Curd Jürgens
Auch die letzte Ruhestätte des beliebten österreichischen Volksschauspielers Hans Moser (1880 – 1964) habe ich bald entdeckt. An seiner Seite spielte Hedy 1931 ihre erste tragende Rolle in einem Kinofilm und teilte mit ihm die Gunst des Theaterimpresarios Max Reinhardt.

Grab von Hans Moser


Gräber von Paul Hörbiger und Theo Lingen
Die Gräber von Mosers Filmpartnern und Freunden Theo Lingen (1903-1978) und Paul Hörbiger (1894-1981) befinden sich ebenfalls auf dem Wiener Zentralfriedhof, der nach lediglich drei Jahren Bauzeit 1874 eröffnet wurde.
Bereits 1863, als die Errichtung des Zentralfriedhofs beschlossen wurde, legten die Verantwortlichen den interkonfessionellen Charakter des Friedhofs fest und räumten Glaubensgemeinschaften ausdrücklich die Möglichkeit ein, eigene Abteilungen anzulegen und so passiere ich während meines Spaziergangs neben christlichen auch islamischen, jüdischen und buddhistischen Grabstätten.

Der Wiener Zentralfriedhof beherbergt aufgrund seiner enormen Größe und des dichten Baumbestandes eine vielfältige Fauna. Viele Eichhörnchen, die von den Wienern „Hansi“ genannt werden, kann ich auf meinem Weg beobachten, aber auch Rehen, Turmfalken, Feldhamstern, Dachsen, Mardern, Fröschen und anderen Kleintieren bietet der Friedhof einen geeigneten Lebensraum.

Rehe auf dem Wiener Zentralfriedhof
In der Vergangenheit bedienten sich auch zahlreiche Film- und Fernsehproduktionen des morbiden Charmes, den der Friedhof verströmt. Besonders erwähnenswert ist der Film „Der dritte Mann“ aus den 1940er-Jahren, in dem einige Szenen auf dem Friedhof spielen. Dessen Hauptdarstellerin Alida Valli (1921 – 2006) startete ihre internationale Filmkarriere in dem Hitchcock-Film „Der Fall Paradin“, in einer Rolle für die ursprünglich Hedy Lamarr im Gespräch war.
Diese war jedoch mittlerweile nicht mehr unter Filmproduzenten, sondern bestenfalls in Klatschkolumnen Gesprächsthema.
„Meine Mutter verfing sich in einem Netz aus Oberflächlichkeiten, das sie täglich umgab“, räumt ihr Sohn Anthony Loder ein. „Sie war mehr als ein Jahrzehnt lang sehr gefragt und dann ließ man sie fallen. Sie besaß die Mentalität einer typischen Hollywood-Diva. Sie glaubte in jede Sekunde ihres Lebens der Mittelpunkt der Welt zu sein. Als Hollywood sie hinauswarf, hatte sie sich längst von der strahlenden Prinzessin aus dem Wienerwald zur kapriziösen Nervensäge gewandelt. Meine Mutter vertraute den falschen Leuten. Irgendwann vertraute sie niemandem mehr, nicht einmal sich selbst.“
Hedy hatte in den vergangenen Jahren ein von Außenwirkung, Imagepflege, Verführungskunst, Privilegien und Realitätsferne geprägtes Leben geführt, das nun wie ein Kartenhaus in sich zusammenzufallen schien, was auch an ihrem Äußeren erkennbar wurde. Mitunter missglückten ihre zahlreichen Schönheitsoperationen, sodass manche Eingriffe vorrangig dazu dienten, vorangegangene Operationsresultate zu kaschieren. „Schönheit war zunächst ihr Kapital, dann ihr Fluch“, resümiert ihr Sohn.

Hedy Lamarr, circa 1972 (Photo by Tom Wargacki/WireImage)
1974 zog Hedy erneut vor Gericht, um gegen die Verletzung ihrer Privatsphäre und unberechtigte Nutzung ihres Namens vorzugehen. In Mel Brooks’ Film „Blazing Saddles“ verkörpert der Schauspieler Harvey Korman die Rolle eines Vizegouverneurs namens Hedley Lamarr – eine offenkundige Anspielung auf Hedy Lamarr. Er wird im Film sogar beharrlich falsch angesprochen und antwortet zunehmend gereizt: „Ich heiße Hedley, nicht Hedy!“
Die angeblich Geschädigte forderte absurde 10 Millionen Dollar, was selbst ihre Anwälte für abwegig hielten und mit Mel Brooks eine außergerichtliche Einigung erzielten. Der Satiriker und Filmemacher zahlte Hedy symbolische und demütigende 1000 Dollar.

Hedy Lamarr, 1974
Photo by Richard Gummere/New York Post Archives /(c) NYP Holdings, Inc. via Getty Images)
Hedy hatte sich ihren eigenen Tagesrhythmus angeeignet. Sie ging sehr spät zu Bett, schlief bis zur Mittagszeit, um sich sogleich, nachdem sie den Fernseher, der pausenlos bis in die Nacht lief, eingeschaltet hatte, sorgfältig zu schminken und zu frisieren. Zwei Leidenschaften, die sie durch ihr gesamtes Leben begleiteten, behielt sie auch im Alter bei. Sie malte gerne und ging möglichst täglich schwimmen. Zudem besuchte sie gelegentlich Flohmärkte, wo sie, wenn sie von Passanten erkannt und angesprochen wurde, stets verneinte, Hedy Lamarr zu sein.
Mitte der 1970er-Jahre erkrankte sie an Makuladegeneration, einer Erkrankung der Netzhaut, was zum baldigen Nachlassen der Sehschärfe und schließlich zur annähernden Blindheit führte.

Hedy Lamarr mit Sylvia Miles (Schauspielerin) und Ethel Scull (Kunstmäzenin), 1975
(Photo by Tim Boxer/Getty Images)
Sie zog sich noch mehr zurück und erschien selbst zu den Hochzeiten ihrer Kinder nicht.
1977 ertrank Hedys Mutter Gertrud, zu der sie kaum Kontakt hatte, infolge eines Schwächeanfalls in ihrer Badewanne. Hedy kam nicht zu ihrer Beerdigung und warf ihrem Sohn, der sich um eine angemessene Bestattung seiner Großmutter gekümmert hatte, vor, er habe es mit dem getätigten Aufwand übertrieben: „So viel war sie doch gar nicht wert.“
Gertrud Kieslers Grab ist sicherlich weniger aufsehenerregend als jenes von Manfred Deix (1949 – 2016), vor dem ich lächelnd stehe und die Skulptur eines Katers mit goldener Krone, üppigem Pelzkragen, perfekt gebundener Krawatte und Zigarette im Mundwinkel betrachte. Meiner Ansicht nach handelt es sich um ein angemessenes Grabmal für den Karikaturisten, der sein Heim mit seiner Frau und 23 Katzen teilte. Der politisch engagierte Mensch prangerte mit seinen pointierten Zeichnungen Rassismus und Populismus an und setzte sich engagiert für den Tierschutz ein. Seine Beerdigung am 8. Juli 2016 verlief ähnlich unkonventionell wie das Leben des Künstlers. Auf dem Friedhof erklang statt eines Bachchorals die Musik der Beach Boys, die er zeitlebens geliebt hatte.

Grab von Manfred Deix
Ohne musikalische Untermalung wurde Udo Jürgens (1934 – 2014) zu Grabe getragen.
Ich trete an ein Gebilde aus weißem Marmor heran, vor dem zahlreiche Blumen, Gestecke und Kerzen abgelegt wurden. Die Skulptur aus sechs Tonnen schwerem italienischen Marmor wurde von Jürgens‘ Bruder Manfred Bockelmann entworfen und stellt ein weißes, von einem Tuch umhülltes Klavier dar.

Grab von Udo Jürgens
An der Vorderseite des Flügels fällt mein Blick auf die schwungvolle Signatur von Udo Jürgens sowie auf eine Grabplatte, in die Textzeilen aus dem Lied „Ich lass‘ Euch alles da“ eingraviert sind: „Ihr seid das Notenblatt, das für mich alles war, ich lass‘ Euch alles – ich lass` Euch alles da“
Angeführt von seinem Bruder Manfred wurde bei regnerischem Aprilwetter am Tag des Begräbnisses die Urne von Udos Kindern Jenny und Johnny mitgeführt, an der Oberseite des Marmorklaviers eingelassen, diebstahlsicher verankert und mit einem Marmordeckel verschlossen. Somit wurde dem Wunsch des Musikers entsprochen, „über“ der Erde bestattet zu werden.


Auf einen vergleichbaren familiären Rückhalt konnte Hedy nicht mehr bauen. Ihre Eltern waren verstorben und von ihren Kindern hatte sie sich entfremdet. Es wurde einsam um den einstigen Star.
1991 zog sie in das sonnige Florida, wo sie von einer überschaubaren Rente, die mithilfe staatlicher Sozialleistungen aufgebessert wurde, lebte.
Nachdem sie auch dort in einer Drogerie des Ladendiebstahls überführt wurde, wurde sie kurzzeitig in Haft genommen. Doch dank ihres freiwilligen Verzichts auf Verteidigung, der Geringfügigkeit des Vergehens, der Wert der gestohlenen Sachwerte überstieg kaum 20 Dollar, ihres Alters sowie ihres psychischen Zustandes wurde die Anklage fallengelassen.
Ihre letzte Wohnstätte war ein trister Wohnblock, in dem ihre Nachbarn Hedy als krankhaft misstrauisch und äußerst exzentrisch beschrieben. Ihre Wohnung glich einem Schrein, dessen Bewohnerin sich scheinbar machtlos gegen die eigene Vergänglichkeit zu stemmen schien. Die Wände waren voll gepflastert mit Fotos, auf denen Hedy Lamarr, entsprechend ihrem offiziellen PR-Slogan, ihrem Image als „die schönste Frau der Welt“ gerecht zu werden sucht. Doch die Realität zeigte ein grell geschminktes Gesicht, das aufgrund der Schönheitschirurgie, der sie sich ausgeliefert hatte, zu einer unwirklichen Karikatur verkommen war.
Hedy Lamarr hatte einen Großteil ihres Selbstbewusstseins („Kein Mann hat je nein zu mir gesagt.“) aus ihrer unwiderstehlichen Anziehungskraft auf Männer gezogen. Doch was blieb, als diese verblasste? Hedy schien sich ihre eigene Realität und Wahrheit geschaffen zu haben, war aber unverkennbar einsam.
Gleichwohl gelang es ihr, eine neue Freundschaft zu schließen. Als man sich an ihren engagierten Einsatz für Kriegsanleihen in den 1940er-Jahren erinnerte, ihr eine Ehrung zuteilwerden lassen wollte und sich bemühte, Kontakt zu ihr aufzunehmen, suchte der Polizist Chuck Stansel sie auf, hinterließ seine Telefonnummer und verabschiedete sich mit dem Hinweis, sie solle sich bei ihm melden, wenn er etwas für sie tun könne. Tatsächlich läutete nach ein paar Tagen sein Telefon und Hedys Stimme erklang: „Können sie mir etwas Cranberrysaft vorbeibringen?“ Diese anmaßend dekadente Bitte war der Anfang einer jahrelangen Freundschaft, die in nicht geringem Maße auf derartigen Gefälligkeiten basierte.
Desgleichen meinte es das Schicksal gut mit Hedy, als die Firma Corel 1996 einen mit 3 Millionen US-Dollar dotierten Wettbewerb ausschrieb, den John Corkery mit einer Vektor-Illustration von Hedy Lamarr für sich entschied. Zwei Jahre später schmückte das Werk die Verpackungen der Grafik- und Bildbearbeitungssoftware „CorelDRAW 8“. Hedy erkannte den eklatanten Anfängerfehler des Konzerns, verklagte ihn auf über 5 Millionen US-Dollar und forderte, die Nutzung ihres Konterfeis unmittelbar einzustellen. Die Parteien einigten sich außergerichtlich, wobei Hedy der Firma Corel gegen eine sicherlich nicht unerhebliche Zahlung die Nutzung des Porträts zugestand und somit über Nacht wieder zu einer sehr wohlhabenden Frau wurde.
Um die Mittagszeit des 19.1.2000 klopfte Chuck Stansel vergeblich an die Tür seiner Freundin, trat dank eines ihm anvertrauten Schlüssels ein und fand Hedy bei laufendem Fernseher sorgfältig geschminkt, parfümiert und geschmackvoll gekleidet leblos in ihrem Bett vor.
Für die einstige „schönste Frau der Welt“ fand in einem anonymen Bestattungsinstitut weitestgehend unbemerkt eine kurze Zeremonie, bei der kaum mehr als 10 Menschen zugegen waren, statt.
„In ihrem letzten Willen hatte Hedy den Wunsch geäußert, dass ihre Asche im Wienerwald verstreut wird“, offenbart ihr Sohn Anthony. „Sie wollte nach Hause.“
Diesen Wunsch erfüllten ihre beiden Kinder drei Jahre nach Hedys Tod und verstreuten die Asche ihrer Mutter „Am Himmel“, einem Gebiet auf dem Pfaffenberg, der mit 400 Metern Höhe einen atemberaubenden Ausblick auf Wien bietet, Sigmund Freud zur Erkenntnis der Bedeutung des Traumes geführt hat und im Gemeindebezirk Döbling, wo Hedy ihre Kindheit verbracht hat, gelegen ist. Weil sie den Gedanken gefasst hatte, einen weiteren Anteil in einem Ehrengrab in Wien bestatten zu lassen, hielten Denise und Anthony bei der feierlichen Verstreuung die Hälfte der Asche zurück. Nach seiner Rückkehr in die USA schrieb Anthony einen Brief an den Wiener Bürgermeister, in dem er sein Anliegen vortrug. Dieser zeigte sich dem Ansinnen gegenüber aufgeschlossen, wies jedoch darauf hin, dass mit Kosten in Höhe von etwa 10.000 Euro, eine Summe, die Anthony nicht aufbringen konnte, zu rechnen sei.
Die nicht verstreute Asche hatte Anthony in Wien zurückgelassen, wo die Reliquie acht Jahre lang in einem Plastikbeutel in der Wiener Filmproduktionsfirma Mischief zwischengelagert wurde. Um den Inhalt vor der versehentlichen Entsorgung von übereifrigen Raumpfleger*innen zu schützen, wurde ein Zettel mit dem Hinweis „The ashes of Hedy Lamarr“ darauf angebracht.
Anthony gab nicht auf und kämpfte weiter für das Ehrengrab seiner Mutter, hielt er sie doch bereits zu ihren Lebzeiten für ungerecht behandelt. Hollywood habe sie missbraucht und fallengelassen. Ihre geniale Erfindung habe sie nie zu Geld machen wollen und können, denn anderenfalls wäre sie nicht nur die schönste, sondern auch die reichste Frau der Welt gewesen. In Anspielung auf Arnold Schwarzenegger, nach dem bis in das Jahr 2005 eine Sportarena benannt wurde, wetterte er: „Diesem Bodybuilder wurde in Graz ein ganzes Fußballstadion gewidmet und meine Mutter bekommt nichts.“
Nach jahrelangen Debatten erklärte sich die Gemeinde Wien schließlich bereit, die anfallenden Kosten für das Ehrengrab vollständig zu übernehmen, sodass Hedy zwei Tage vor ihrem 100. Geburtstag auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt werden konnte und ich nun vor einem Gebilde aus Stahlstangen stehe, das sowohl an Hedys Gesicht als auch an ihre Erfindung des Frequenzsprungverfahrens erinnert.

Grab von Hedy Lamarr
Wie die Installation weist auch eine silberne Gedenktafel, in die ein Zitat von Hedy eingraviert ist, auf ihre beiden Talente hin. „Films have a certain place in a certain time period. Technology is forever. – Hedy Lamarr: Actress & Inventor“
Am 1.1.2000 und somit nur wenige Tage vor ihrem Tod hat Hedy aufgeregt bei ihren beiden Kindern angerufen. „Schalte den Fernseher ein! Es ist Wien! Man sieht die Staatsoper und es spielen die Philharmoniker!“ Nach all den Jahrzehnten trug Hedy ihre Heimatstadt noch immer im Herzen, wobei es offenkundig scheint, dass sie in ihrer Kindheit und Jugend die Hochkultur des gehobenen Bürgertums und vermutlich weniger die beliebten Würstelstände kennengelernt hat. „Ich bleibe immer Österreicherin. Nie Amerikanerin… nie“, stellte sie 1970 in einem Interview nachdrücklich klar.
Als 22-Jährige ist sie auf der Suche nach Freiheit, Liebe und einem intensiven Leben in die USA geflüchtet. Während sie fraglos ein intensives Leben geführt hat, war ihr dauerhaftes privates Glück nicht vergönnt und ihre letzte Lebensphase schien von Sucht und Einsamkeit geprägt.

Vorbei an Grabsteinen und Skulpturen spaziere ich über lange von herabgefallenem braun-roten Laub gesäumte Alleen und über unscheinbare, versteckte Nebenwege durch den riesigen Friedhof. Meine Blicke fallen auf pompöse, palastartige Grabstätten sowie schlichte Steinplatten, die gleichermaßen vergangenes Leben in Erinnerung rufen. Ich entdecke zwischen welken Blättern und abgeschnittenen Zweigen einen scheinbar schlichten, aber berührenden Gruß auf einer ausgedienten Holzkiste, der handschriftlich an „die liebe Oma und Mama“ gerichtet ist sowie lebensgroße Statuen, die stolz oder nachdenklich in das bronzefarben schimmernde Herbstlaub blicken.

„In Wien musst` erst sterben, dass dich hochleben lassen. Aber dann lebst` lang“, behauptete der österreichische Schauspieler und Kabarettist Helmut Qualtinger. Der Ausspruch wird oftmals fälschlicherweise dem Popsänger Falco zugeschrieben, der zwar schon zu Lebenszeiten in seiner Heimat gefeiert wurde, doch nach seinem Tod kam er zu besonderen Würden, als die festgeschriebene Höhenbeschränkung von 2,70 Meter für Grabmäler auf dem Wiener Zentralfriedhof für Falco kurzentschlossen aufgehoben wurde. Zu den Klängen von „It’s all over now, Baby Blue“ wurde der Musiker unter den Augen Tausender Fans von den Rockern aus dem „Rock me Amadeus“- Video zu Grabe getragen.
Das mit 3 Metern höchste Grab des Zentralfriedhofs symbolisiert drei Facetten Falcos. Der seine Umgebung überragende Obelisk steht für den Künstler, dessen Name mit großen Lettern in den rot-braunen Granit eingelassen ist. Die klassische Form strahlt Perfektion, Künstlichkeit, Kraft und Unnahbarkeit aus und ist somit der Kunstfigur „Falco“ nicht unähnlich. Sein hinterlassenes musikalisches Werk ist in Form einer Panzerglasscheibe, die an eine abgebrochene CD erinnert, dargestellt. Auf der Oberfläche sind die lebensgroße Figur des Musikers im Bühnenoutfit sowie an der bogenförmigen Außenkante seine erfolgreichsten Titel gedruckt. Schließlich steht die Grabsäule mit seinen eingravierten Lebensdaten für den Menschen Hans Hölzel. Mit ihrer rauen, bereits leicht verwitterten Oberfläche und unregelmäßigen Form wirkt die Basaltstele im Kontrast zu dem Obelisken bescheiden, natürlich und verletzlich.

Grab von Falco
1998 verunglückte der Star tödlich und wie ich an den frischen Blumen, zahlreichen Kerzen, liebevollen Zeichnungen, rührenden Briefen, gerahmten Fotos sowie leeren Bierdosen und Sektflaschen, deren alkoholischer Inhalt in seinem Gedenken geleert wurden, erkennen kann, pilgern bis heute Fans und Neugierige, die womöglich ursprünglich wegen dem in Falcos größten Hit besungenen Komponisten den Friedhof besuchen, zu seiner letzten Ruhestätte.


Eine vergleichbare Aufmerksamkeit wurde Hedy Lamarr nach ihrem Tod nicht zuteil, dennoch entstand auch um ihre Person ein Nachruhm. 2004 erschien der Dokumentarfilm „Calling Hedy Lamarr“ und in Österreich, Deutschland und der Schweiz wird seit 2005 am 9. November, dem Geburtstag Hedy Lamarrs, der „Tag der Erfinder“ begangen. Ein Theaterstück („Sieben Sekunden Ewigkeit“) vom österreichischen Schriftsteller Peter Turrini, das sich mit dem Leben der Schauspielerin beschäftigt, wurde 2017 im Theater in der Josefstadt, wo Hedy als junge Frau auf der Bühne stand, uraufgeführt. Ebenfalls 2017 feierte die US-amerikanische, von Susan Sarandon produzierte Dokumentation „Bombshell: The Hedy Lamarr Story“ beim vom Schauspieler Robert De Niro ins Leben gerufenen „Tribeca Film Festival“ Premiere und im Oktober 2018 wurde von der Stadt Wien erstmals der mit 10.000 Euro dotierte Hedy Lamarr-Preis, der die Bedeutung von Frauen in der Informationstechnologie zu stärken versucht, verliehen.
In der modernen Popkultur hat Hedy ihre Spuren hinterlassen. Angeblich inspirierte sie Walt Disney zum Erscheinungsbild von Schneewittchen. Bei der Entstehung der attraktiven, schwarz gekleideten Catwoman, die 1940 in einem Comicheft ihren ersten Auftritt hatte, stand Hedy Pate und auch der Regisseur Ridley Scott enthüllte, für die Figur der Rachel in seinem Film „Blade Runner“ Hedy Lamarr zum Vorbild genommen zu haben.
Ähnlich wie Falco, der auf seinem Grab mit ausgebreiteten Flügelarmen dargestellt ist, schwebte Hedy durch ihr Leben wie ein majestätischer, doch auch stets vom nahenden Absturz bedrohter Vogel. Hatte die öffentliche Hedy mit der privaten Hedy anfänglich noch wenig gemein, schien im Verlaufe ihres Lebens diese Grenze zu verschwimmen. Hollywood steigerte ihr ohnehin beträchtliches Selbstbewusstsein ins Unermessliche und ließ sie fallen, als Hedy sich bereits für den Mittelpunkt der Welt zu halten schien und auch privat für sich den Status der Göttin beanspruchte.
Hedys Aussagen stimmten zunehmend weniger mit ihren Handlungen überein. Sie lehnte es ab, auf ihr Äußeres reduziert zu werden, betonte mehrfach, ein einfaches Leben zu bevorzugen und behauptete, Mutter zu sein, sei das Wichtigste in ihrem Leben. Dennoch gab sie ein Vermögen für zweifelhafte Schönheitsoperationen aus, schwelgte im Luxus und war für ihre Kinder selten präsent.
Hedy beschrieb sich selbst als „einfach komplizierte Person“, was ihr Sohn Anthony bestätigte. Seine Mutter habe genauso „Peitsche wie Rose“ sein können. Das große Glück sei ihr aber versagt geblieben und trotz ihrer Berühmtheit sei sie oft allein gewesen: „Sie hatte viel Stress, Hedy Lamarr zu sein.“
Hedys Handlungen, Aussagen und Entscheidungen sind nicht immer leicht nachzuvollziehen und angesichts ihrer zweiten Lebenshälfte erscheint uns die Autobiografie Hedy Lamarrs wie eine einzige Tragödie, was womöglich auch den Tatsachen entspricht. Doch ist es zumindest denkbar, dass sie das Leben geführt hat, das sie leben wollte und im Einklang mit sich war.
Zeit ihres Lebens fasste Hedy ihre Gedanken und Gefühle in Form von poetischen Versen in Worte. In ihren letzten Lebensjahren sendete sie ein Gedicht an ihren Sohn Anthony, das mit den folgenden Zeilen endet:
“You are a star and you must shine
after listening to this for many years I stopped——–
I like myself the way I am
if you do not, well
I don’t give a damn. “
Den maschinengeschriebenen Zeilen ist handschriftlich hinzugefügt: „Pardon me! Mom“